Termindruck, Konflikte in der Familie und Leistungsdruck im Beruf: In diesem Spannungsfeld geraten immer mehr Menschen an ihre Belastungsgrenzen.

Wird der Dauerstress zur Normalität, drohen ernsthafte Erkrankungen. Ein gutes Stressmanagement kann helfen, dass es so weit nicht kommt.

Chronische Stressbelastungen kosten viel Energie. Sie schränken unsere Lebensqualität erheblich ein und können im schlimmsten Fall in ein Burnout führen. Im Gespräch mit t-online erklärt die Berliner Psychologin Dr. Christina Jochim, welche Strategien helfen, Stress vorzubeugen und anstrengende Lebensphasen zu meistern.

t-online: Viele Menschen klagen über Stress. Doch ist er immer nur negativ?

Dr. Christina Jochim: Nein. Tatsächlich unterscheiden wir zwischen positivem Eustress und negativem Distress. Eustress ist zunächst einmal jegliche Form von Anforderungen, die unserer Aufmerksamkeit und Reaktion bedarf. Bei Distress haben die Betroffenen das Gefühl, dass diese Anforderungen zu hoch sind und sie nicht damit umgehen können. Ob Stress als positiv oder negativ empfunden wird, ist grundsätzlich subjektiv und hängt immer auch von der Bewertung der Person ab. Auch die individuell vorhandenen Bewältigungsstrategien spielen dabei eine wichtige Rolle.

Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Das Planen einer Überraschungsparty kann beispielsweise unterschiedlichen Stress auslösen. Diejenigen, die Freude daran und das Gefühl haben, alles im Griff zu haben, empfinden positiven Stress. Andere dagegen fühlen sich überfordert. Bei ihnen kann die gleiche Situation negativen Stress auslösen.

Sie haben in Ihrer Praxis oft mit stark beanspruchten Menschen zu tun. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Stressfaktoren?

Die größten Stressfaktoren sind Existenzängste, das Gefühl von fehlender Kontrollierbarkeit und fehlende Mechanismen zur Stressbewältigung. Leistungsstressoren und Beziehungsstressoren spielen in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Egal, ob es Arbeit, Familie oder Freizeit betrifft.

Dr. Christina Jochim ist Psychologische Psychotherapeutin und Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) in Berlin (Foto: privat).

Die Pandemiekrise ist ein massiver Stresstest für alle. Was genau passiert da gerade in unserer Gesellschaft?

Die Pandemie bedeutet für die Menschen Unsicherheit. Keiner weiß, wann sie vorbei sein wird. Unsere Psyche ist jedoch kein Fan von Kontrollverlust. Sie möchte immer wissen, was als nächstes passiert. Doch eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Vielmehr fordert die Pandemie stetig Neuanpassungen in Bezug auf gewohnte Abläufe. Um all diese Anforderungen zu erfüllen, benötigen wir viel Energie. Doch unsere Ressourcen sind auch irgendwann einmal erschöpft. Wenn der ‚Energie-Akku‘ über einen längeren Zeitraum leer ist, kommt es zu chronischem Stress.

Für Familien ist die aktuelle Situation besonders belastend. Zwischen Homeoffice, Home Schooling und Haushalt stecken viele in der Stressspirale fest.

Richtig. Das Problem ist hier die Kombination von hoher Anforderung und geringem Entscheidungsspielraum. Dass diese Faktoren die Stressanfälligkeit erhöhen, ist auch aus Studien bekannt.

Stressmanagement kann helfen, Spannungen und Druck abzubauen. Welche Methoden empfehlen Sie?

Es gibt es ein paar Klassiker, die gut erforscht sind und sich bewährt haben. So wissen wir zum Beispiel, dass Bewegung Anspannung abbaut. Auch ausgewogene Ernährung hat positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden. Ebenso können soziale Kontakte, Freizeitaktivitäten und Hobbys Stress entgegenwirken. Darüber hinaus sind ausreichend Schlaf und Erholung wichtig. Wer einen niedrigen Energielevel hat und trotzdem immer weiter powert, wird irgendwann krank. Der Akku sollte möglichst nie in den roten Bereich kommen, sondern vorher aufgeladen werden. Viele achten bei ihrem Handy darauf, bei sich selbst aber nicht.

Gibt es Persönlichkeiten, die zu Stress neigen?

Forschungen zeigen, dass es keine typischen Stresspersönlichkeiten gibt. Doch es gibt persönliche Eigenschaften, die Stressverstärker sein können. Das sind zum Beispiel Perfektionismus, Ungeduld und Selbstüberforderung.

Auf Stress reagieren Menschen zwar individuell unterschiedlich, doch es lassen sich oft Muster erkennen. Wie kommt das?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einen Blick in die Evolutionsgeschichte werfen. Wir wissen, dass es drei Strategien gibt, mit denen Menschen auf Gefahr reagieren: Kampf, Flucht oder Erstarren. Im Kampf-Modus erfolgt eine Art psychologische Überkompensation, zum Beispiel wenn Betroffene alles besser und perfekter machen wollen. Das Fluchtverhalten dagegen bedeutet Vermeidung. Solche Menschen ziehen sich zurück. Auch wird dann zum Beispiel öfter Alkohol konsumiert und man weicht auf diese Weise dem Problem aus.

Diejenigen, die „erstarren“, erdulden die Situation. Sie halten alles aus, ohne aktiv etwas zu verändern. Ideal ist es, je nach Situation zwischen den genannten drei Typen flexibel und maßvoll wechseln zu können, wenn man spürt, dass das jeweilige Verhaltensmuster schadet. Um das zu lernen, ist Selbstreflexion wichtig. Zunächst muss man erkennen, zu welchem Typ man neigt.

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