SPD
Partei sucht Kompass: Sechs Fragen nach dem SPD-Parteitag
Aktualisiert am 29.06.2025 – 10:41 UhrLesedauer: 4 Min.
Ups! Was auf dem Parteitag in Berlin passiert ist, hatten viele in dem Ausmaß nicht beabsichtigt. Die SPD demütigt ihren Vizekanzler – und muss da jetzt irgendwie rauskommen.
Nach diesem Parteitag hat die SPD viel zu verdauen. Das Desaster bei der Bundestagswahl ist noch längst nicht verkraftet: 16,4 Prozent, ein Tiefpunkt der Parteigeschichte. Dann der Schock: Die SPD versetzt dem eigenen Vizekanzler einen Tiefschlag, der selbst seine Kritiker erschreckt. Dann fährt sie auch noch beinahe ihrem beliebtesten Mann, Verteidigungsminister Boris Pistorius, bei der Wehrpflicht in die Parade. Wie sollen die Sozialdemokraten so auf Augenhöhe kommen mit der CDU und Kanzler Friedrich Merz?
Ihre neue Doppelspitze jedenfalls wählt die SPD mit Ergebnissen, die ungleicher kaum sein könnten: Bärbel Bas, die Neue, die Parteilinke mit der traditionellen SPD-Vita, fährt stolz 95 Prozent ein. Lars Klingbeil, der Vizekanzler, der Machtstratege, landet bei unter 65 Prozent – so schlecht war noch kein SPD-Chef, der ohne Gegenkandidaten antrat.
Das Ergebnis ist eine politische Ohrfeige für den Parteichef. Er hat Vertrauen verloren in den eigenen Reihen: mit seiner rigorosen Personalpolitik nach der Wahl; mit der Strategie, sich auf allen wichtigen Posten mit Vertrauten zu umgeben; damit, dass er die Debatte um die umstrittene Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz lange laufen ließ – genauso wie später die parteiinterne Demontage seiner Co-Parteichefin Saskia Esken. Auf dem Parteitag gibt es immer wieder energischen Applaus für jene, die in Klingbeils Machtkarussell leer ausgingen: neben Esken vor allem Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil.
Klingbeil hätte alle Gründe, das Ergebnis persönlich zu nehmen. Doch er macht direkt nach dem Wahlschock klar, dass er seinen Kurs deswegen nicht ändern wird. Pistorius stärkt dem Landsmann aus Niedersachsen den Rücken: „In einem Jahr spätestens, wahrscheinlich schon früher, redet darüber gar keiner mehr, weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so sind.“ Doch Klingbeil wird hart arbeiten müssen, um wieder positiv wahrgenommen zu werden.
Die Arbeitsministerin hat jedenfalls die volle Rückendeckung der Partei – und sie vertritt Themen, die sozialdemokratischer kaum sein könnten. Niemand hat auf dem Parteitag die Arbeiter-SPD glaubwürdiger dargestellt als die schnörkellos redende Duisburgerin, die seit der technischen Berufsfachschule auch Schweißen kann.
Kurz vor dem Parteitag legte sie einen milliardenschweren Gesetzentwurf für das SPD-Herzensthema sichere Renten vor. Die Delegierten begeistert die einstige Frauenfußballerin auch mit der Kritik, Frauen seien in der Politik „noch zusätzlich diesem sexistischen Müll ausgesetzt“.
All das dürfte Bas helfen, als gleichberechtigte Partnerin des zuvor sehr dominanten Vizekanzlers wahrgenommen zu werden. „Für Alibi-Parität bin ich nicht zu haben“, sagt Bas. Das war durchaus auch als Ankündigung ihres Auf-Augenhöhe-Anspruchs neben dem machtbewussten Klingbeil zu verstehen. Ob sie einander das Rampenlicht gönnen werden, wie in der Parteizentrale kolportiert, bleibt abzuwarten.
Für Kanzler Merz ist Klingbeil der wichtigste SPD-Ansprechpartner – und zugleich mit Blick auf die nächste Bundestagswahl Stand heute der wichtigste Konkurrent. Klingbeils schwaches Ergebnis könnte das Machtgefüge der beiden verschieben, Autorität erschüttern. Merz kann bei strittigen Entscheidungen jetzt stets infrage stellen, ob der SPD-Chef überhaupt die volle Rückendeckung seiner Partei und seiner Fraktion hat. Will die Union ihren Koalitionspartner angreifen, ist Klingbeil die Schwachstelle.