Ist das 1,5-Gradziel bereits verloren? Eine Studie geht davon aus, dass wir es bereits überschritten haben.

Die Forschung über Schwämme in der karibischen See stellen die Berechnungsgrundlage für die Erderwärmung des Weltklimarats IPCC infrage. Das zumindest zeigt eine neue Studie, an der Forschende aus Australien, den USA und Puerto Rico beteiligt waren. Veröffentlicht wurde die Ergebnisse erstmalig im Fachmagazin „Nature“. t-online erhielt vorab Zugang zu den Ergebnissen. Laut diesen könnte die 2-Gradmarke bereits viel früher erreicht werden, als vom Weltklimarat prognostiziert.

Während der IPCC derzeit von einer Erderwärmung von rund 1,2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter ausgeht, kommen die Forschenden in der aktuellen Veröffentlichung bereits auf rund 1,7 Grad. Ihr Hauptkritikpunkt: der Referenzzeitpunkt, der vom Weltklimarat als vorindustriell bezeichnet wird. Das Problem sei aus Sicht der Forschenden, dass es bereits zwischen 1850 und 1900 zu Erderwärmung gekommen sei, wie es in der Studie heißt. Doch an diesem Ergebnis regt sich Kritik. Andere unabhängige Forschende bewerten Teile des Fazits der Studie als „unhaltbar“.

Das können Schwämme über unser Weltklima aussagen

Für die Studie wurden die Skelette von Sklerosschwämmen aus dem karibischen Meer gesammelt. Die Schwämme wurden in Tiefen zwischen 33 und 91 Metern gesammelt. In dieser Tiefe seien die Temperaturschwankungen weniger ausgeprägt, als an der Meeresoberfläche, so die Forschenden.

Skelette von Schwämmen

Schwämme haben ein Skelett, das aus Kalk, Karbonaten und anderen Verbindungen besteht. Nach dem Absterben des Schwammes bleibt es zurück. Mit verschiedenen Methoden lassen sich über diese Skelette Aussagen über frühere klimatische Verhältnisse ableiten, ähnlich wie bei Sedimentbohrungen in der Antarktis.

Mit verschiedenen Methoden untersuchten die Wissenschaftler die zwischen 2007 und 2017 gesammelten Proben. Neben Alter und Wachstumsraten erlaubten Untersuchungen der Strontium- und Calciumwerte Rückschlüsse auf die Entwicklung der Meerestemperaturen, heißt es in der Studie.

Die Ergebnisse erscheinen drastisch: Anders als der Weltklimarat gehen die Forschenden davon aus, dass die Erderwärmung bereits in den späten 2020er Jahren die zwei Gradmarke überschreiten wird – fast zwanzig Jahre vor der Schätzung des IPCC. „Wenn die Erwärmungsraten so weiter gehen, werden wir bereits im Jahr 2035 eine Erderwärmung von rund 2,5 Grad haben“, heißt es in der Studie, die von einem Forscherteam um Malcolm T. McCulloch durchgeführt wurde.

Aber mit dieser Interpretation sind bei weitem nicht alle einverstanden. Gleich eine ganze Gruppe von Forschenden hat sich zu der vorliegenden Studie geäußert.

Kritik aus den Reihen der Wissenschaft

Prof. Dr. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, verweist darauf, dass die Daten, die der Studie zugrunde liegen, mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. Weiter appelliert Latif, dass der gewählte Referenzzeitraum eine „natürliche Variabilität“ aufweisen sollte, um der „chaotischen Natur des Klimas“ gerecht zu werden. „Meiner Meinung nach ist es auf der Erde bereits viel zu warm, egal ob wir nun ‚offiziell‘ noch unter oder doch schon über 1,5 Grad Celsius stehen“, so Latif.

Die Diskussion um den vorindustriellen Zeitraum sei laut Latif keine neue, nur die Methode sei eine andere. „Es wäre vernünftiger, für politische Ziele den Zeitraum herzunehmen, für den man sehr gute Daten hat, und das sind ungefähr die vergangenen 50 Jahre, in denen ohnehin die größte Erwärmung stattgefunden hat.“

Video | Erderwärmung unproblematisch? Klimaforscher widerspricht vehement

Quelle: t-online

Prof. Dr. Bernd Schöne von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz merkt an, dass unklar bleibe, ob die Strontium/Kalzium-Daten, auf denen das Ergebnis der Studie beruht, „wirklich konstant und unverändert geblieben sind.“ Außerdem würden „zeitlich hochaufgelöste Langzeitbeobachtungen“ bisher fehlen.

Wissenschaftler uneins

Positiv hervor gehoben wird die Verwendung der korallinen Schwämme, etwa von Prof. Dr. Anton Eisenhauer vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Will man Langzeittrends sehen, sind die korallinen Schwämme viel besser geeignet (Anm. d. Red. – als die normalerweise verwendeten Korallen).“ Eisenhauer sieht in der Studie weniger Problematiken als seine Kollegen, sie sei in vielen Teilen valide: „Bevor jedoch endgültige Schlüsse gezogen werden können, müssen diese Ergebnisse durch Messungen aus anderen Meeresgebieten und Arbeitsgruppen bestätigt werden.“

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