In Sachsen hat der Wahlkampf begonnen. Die Koalitionsparteien streiten sich, sprechen einander die Regierungsfähigkeit ab. Am Ende könnte es einen lachenden Dritten geben – die AfD.
In Sachsen wird zwar erst im September gewählt, aber die Parteien beginnen schon jetzt mit dem Wahlkampf. Egal, wen man von der Dresdner Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen fragt, alle gehen aufeinander los. Jüngstes Beispiel sind Äußerungen von SPD-Spitzenkandidatin und Sozialministerin Petra Köpping. „Nur nach Berlin zu schießen, wie Herr Kretschmer, halte ich für kontraproduktiv“, sagte sie „Table.Media“.
Köpping stehe zu ihrem Wort, sei geradlinig. Über sich selbst sagt sie: „Das ist der Unterschied zu Kretschmer. Der geht auch zu ganz vielen Menschen hin. Aber er ist nicht geradlinig.“ Die Bezeichnung „Anti-Kretschmer“ nimmt sie als Kompliment. Kurz angemerkt: Köpping spricht hier über ihren Chef, den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
„Das Vertrauen hat sich über die Jahre aufgebraucht“
Doch auch die anderen Partner halten sich nicht gerade zurück. Wolfram Günther, grüner Umweltminister in Kretschmers Kabinett und auch Kretschmers Stellvertreter, sagte Anfang Dezember der „Leipziger Volkszeitung“: „Wir haben immer gesagt, dass wir als Arbeitskoalition zusammenarbeiten.“ Der Aufwand dafür hätte aber ein „enormes Ausmaß angenommen“, man drehe „unentwegt Schleifen“. „Das ist nicht mehr effizient.“ Auf die Frage, ob die CDU noch ein verlässlicher Koalitionspartner sei, antwortet Günther: „Gute Frage.“
Was ist los in Sachsens Koalition? Neben ihr steht die Ampel fast als friedliche, sich gut verstehende Truppe da. In Sachsen hingegen: Jeder schießt gegen jeden, der Koalitionspartner wird heftiger kritisiert als die Opposition. Man spricht sich einander die Regierungsfähigkeit ab. Das könnte am Ende der AfD nützen.
Die Angriffe der drei Koalitionspartner laufen seit Wochen. Eine ähnliche Äußerung wie von Günther kommt auch von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). „Das Vertrauen hat sich über die Jahre in der Koalition aufgebraucht. Wenn das Grundvertrauen am Ende weg ist, ist eine Koalition nicht mehr arbeitsfähig“, sagte er „Table.Media“.
Ministerpräsident hat angefangen
„Kretschmer selbst hat mit dem Abgrenzen begonnen – insbesondere gegen die Grünen“, sagt Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden im Gespräch mit t-online. Bereits Ende des vergangenen Jahres wünschte sich Kretschmer die nächste Koalition ohne Beteiligung der Partei. „Ich möchte diese Koalition ohne die Grünen, weil ich merke, dass sie einen anderen Blick haben auf die gesellschaftlichen Herausforderungen“, sagte er im MDR.
Zur Person
Hans Vorländer ist Seniorprofessor für Politikwissenschaft der TU Dresden und Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung sowie Direktor des Mercator Forums Migration und Demokratie. Bis zu seiner Emeritierung besetzte Vorländer den Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte.
Die Attacken könnten sich die Parteien nur leisten, weil der Koalitionsvertrag so gut wie abgearbeitet sei, sagt Vorländer. „Dann ruht die große Regierungsarbeit und der Wahlkampf beginnt.“
Kretschmer kämpft gegen alle
„Jetzt kommen die kleinen Koalitionspartner aus dem Schatten heraus und müssen sich ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit bringen“, sagt Vorländer. Heißt: SPD und Grüne wollen sich nicht weiter von Kretschmer abdrängen lassen, schießen zurück. „Die Parteien nehmen Stellung ein für den Wahlkampf. Das geht durch Abgrenzung und Attackieren des politischen Gegners.“
Der, der zuerst geschossen hat, Ministerpräsident Kretschmer, will sein Amt bei der Wahl am 1. September verteidigen. „Kretschmer kämpft gegen alle: gegen Berlin, die Grünen und die AfD“, sagt Vorländer. Mit der Abgrenzung zur Bundespolitik wolle er Stimmen der Unzufriedenen im eigenen Land holen. Die Grünen greife er an, um bei der Handwerkerschaft und bei Gewerbetreibenden, aber auch im urbanen Milieu die von den Grünen Enttäuschten zu gewinnen. „Die AfD bezeichnet er als rechtsextremistisch, um zu verhindern, dass aus der Mitte der Gesellschaft noch mehr Unzufriedene in deren Lager wechseln“, so Vorländer.