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Ab dem nächsten Jahr werden zahlreiche Braunkohlekraftwerke im Westbalkan gegen die EU-Großfeuerungsanlagenrichtlinie verstoßen. Die entscheidende Frage sei, was sie ersetzen könne, schreiben Tanja Miščević und Christian Egenhofer.
Das Thema Kohleausstieg bleibt weltweit ein kontroverses Thema, wie die COP28 erneut unterstrichen hat. Nun wird das Thema ein zentraler Punkt auf der Tagesordnung des Ministertreffens der Energiegemeinschaft am 14. Dezember sein.
Zwar besteht seit langem ein guter Wille, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen, doch es mangelt an tatsächlichen Maßnahmen. Diesmal deuten die Umstände jedoch darauf hin, dass ein anderes Ergebnis möglich ist.
Der Grund für diese Verschiebung ist die Anwendung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der EU auf die Elektrizität im Westbalkan, der in erster Linie Anreize für die Reduzierung der CO2-Emissionen schaffen soll.
Unerwarteterweise könnte dies dazu führen, dass die Länder der Region ihre Stromexporte in die EU einstellen – eine Situation, die eine Krise innerhalb des Sektors auslösen könnte.
Ungefähr zwei Drittel des Stroms im Westbalkan werden aus Braunkohle erzeugt, oft in Anlagen, die länger als 40 Jahre in Betrieb sind, was eine Nachrüstung wirtschaftlich unrentabel oder technisch schwierig macht.
Die CO2-Intensität des Stromsektors in dieser Region ist dreimal höher als die der EU. Ab dem nächsten Jahr wird eine beträchtliche Anzahl von Braunkohlekraftwerken – etwa zwei Drittel der Gesamtkapazität – gegen die EU-Richtlinie über Großfeuerungsanlagen verstoßen, wie sie im Vertrag zur Europäischen Energiegemeinschaft vorgeschrieben ist.
Die bevorstehende Schließung dieser Werke wirft eine entscheidende Frage auf: Was wird sie ersetzen?
Gibt es Anreize für den Ausstieg?
Die Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems (ETS) auf den Westbalkan könnte die notwendigen Anreize und Mittel für neue Investitionen bieten und die Schließung von Braunkohlekraftwerken erleichtern.
Das EU-EHS ist zusammen mit dem Modernisierungsfonds und Artikel 10c speziell darauf ausgelegt, Probleme im Zusammenhang mit Kohle anzugehen.
Diese Bestimmungen ermöglichen es den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, dem Energiesektor vorübergehend kostenlose Emissionszertifikate zu gewähren, um dessen Modernisierung zu unterstützen. Beide Mechanismen bleiben mindestens bis 2030 gültig.
Bemerkenswert ist, dass der Modernisierungsfonds, der durch 2 % der gesamten EU-Zertifikate unterstützt wird (im Wert von 48 Milliarden Euro bei einem CO2-Preis von 75 Euro), eine erhebliche EU-Solidaritätskomponente aufweist.
Im Umgang mit dem Westbalkan würden Konditionalitäten für die Gewährung kostenloser Zuteilungen einen Kohleausstieg erfordern. Folglich könnte sich der Modernisierungsfonds in einen „Westbalkan-Kohleausstiegsfonds“ verwandeln.
Durch einen Ministerbeschluss würde das EU-EHS bis 2026 Teil des Besitzstands der Energiegemeinschaft werden. Unter strengen Bedingungen wären die Länder des westlichen Balkans berechtigt, vorübergehend kostenlose Zuteilungen zu gewähren, beispielsweise für acht Jahre.
Eine weitere Finanzierung ist unerlässlich
Der entscheidende Punkt ist, dass Kraftwerke diese EU-Zertifikate unabhängig von ihrem Stilllegungsstatus behalten können. Sollten sie den Betrieb einstellen, können sie den Wert dieser Zertifikate für neue Investitionsprojekte nutzen.
Wenn sie sich hingegen dafür entscheiden, weiterhin betriebsbereit zu sein, drohen ihnen nach Ablauf des Übergangszeitraums keine kostenlosen Zuteilungen mehr.
Um die Auswirkungen eines CO2-Preises von 80 € oder mehr abzumildern, könnte eine schrittweise Einführung der ETS-Verpflichtung in Betracht gezogen werden, ähnlich der anfänglichen Einführung für maritime Emissionen.
Eine weitere Finanzierung aus bestehenden Quellen wie dem EU-Wachstumsplan für den Westbalkan, dem EU-Investitionsrahmen für den Westbalkan sowie nationalen und internationalen Entwicklungsbanken wird erforderlich sein.
Die entscheidenden neuen Elemente sind der erwartete Kohleausstieg und zusätzliche zweckgebundene Mittel aus kostenlosen Zuteilungen, die als Sicherheit für die Beschleunigung neuer Investitionsprojekte dienen.
Prognosen deuten darauf hin, dass sich der Wert der kostenlosen Zuteilung über einen Zeitraum von acht Jahren auf etwa 20 Mrd.
Die gesamte in der Region erforderliche neue Erzeugungskapazität wird etwa 5 GWe betragen, was etwa einem Fünftel der Gesamtkapazität Belgiens oder weniger als 1 % der gesamten Erzeugungskapazität der EU entspricht.
Darüber hinaus stammt mehr als ein Drittel der Stromversorgung des Westbalkans aus bestehenden Wasserkraftquellen, was eine kohlenstoffarme und vollständig verteilbare Energiequelle darstellt. Durch die Integration weiterer 20 % der Solarkapazität könnte der Rest durch Geothermie, Windkraft, Biomasse und insbesondere die Effizienzgewinne neuer Technologien, erhöhte Lastfaktoren und eine im Laufe der Zeit verbesserte Endnutzungseffizienz ergänzt werden.
Der radikale Weg ist der einzig glaubwürdige Weg
Dieser Vorschlag ist etwas radikal. Es gibt jedoch keinen anderen glaubwürdigen Plan.
Die Umsetzung dieses Vorschlags erfordert Vision, politischen Willen und vor allem politischen Mut. Der weitere Weg wird weder politisch noch technisch einfach sein.
Darüber hinaus gibt es keine Garantie dafür, dass dieses Konzept in der Praxis effektiv funktioniert. Die damit verbundenen Risiken könnten erheblich sein, aber die potenziellen Vorteile, insbesondere im Hinblick auf CO2-Reduktionen und politische Stabilität, sind beträchtlich.
Dennoch würde diese Initiative den Bürgern des Westbalkans die Realität ihrer europäischen Perspektive und der EU die Bereitschaft der Region zeigen, sich den ehrgeizigen EU-Klimazielen anzuschließen.
Tanja Miščević ist Ministerin für europäische Integration der Republik Serbien und Christian Egenhofer ist Associate Senior Research Fellow am CEPS und der School of Transnational Governance am European University Institute in Florenz.
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