Im Jahr 1924 entdeckte man rund 500 Leichenteile in der Leine. Ein Serienmörder hatte es in Hannover auf Jungs und junge Männer abgesehen.
Es war Zufall, dass die Kinder den Schädel beim Spielen entdeckten. Sie schlugen sofort Alarm und das Ufer der Leine zwischen Hannover und Garbsen wurde abgesucht. Immer mehr zusammengeschnürte Bündel mit Leichenteilen und Knochenresten wurden geborgen. Am Ende zählten die Ermittler allein 22 Oberschenkelknochen, insgesamt waren es 500 einzelne Leichenteile. Es war amtlich: In Hannover ging ein Serienmörder um.
Es war das Jahr 1924 und die Wirren der Nachkriegszeit waren noch lange nicht vorbei. Daher reagierte die Polizei lange nicht, als besorgte Eltern ihre Söhne vermisst meldeten. Vielleicht umgezogen, abgehauen, vielleicht wollten sie ihr Glück woanders suchen. Sorgen machte sich bis dahin niemand. Rund um den Hannoveraner Bahnhof entstand in dieser Zeit ein Milieu der Glückssucher, Vertriebenen, Mittellosen – und somit schnell der Prostituierten und Hehler. In dieser Szene lebte der damals 44-jährige Fritz Haarmann. Und rutschte mal wieder ins Visier der Polizei.
Denn Friedrich „Fritz“ Heinrich Karl Haarmann war längst polizeibekannt, der Mann war immer mal wieder wegen „Unzucht mit Knaben“ aufgefallen, wie der NDR berichtet. Wohl als Kind von seinem älteren Bruder missbraucht, beging er nun selbst diese Verbrechen an Nachbarsjungen. Ein geordnetes Leben zu führen, gelang ihm nie, er rutschte in die Kleinkriminalität ab. Regelmäßige Kurzbesuche im Knast folgten. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er fast vollständig im Gefängnis, schrieb die „Welt“. Die Polizei heuerte ihn 1918 direkt als Spitzel an.
Als Polizeispitzel auf Opferjagd
Ausgestattet mit einem offiziellen Polizeiausweis, wie der „Spiegel“ berichtet, durchsuchte er den Bahnhof und die Wartesäle nach potenziellen Opfern. Der Deal war simpel: Er bot Essen und Unterkunft für Sex. Seine Opfer, am Ende mindestens 24 Jungs und Männer zwischen 10 und 22 Jahre alt, gingen mit ihm.
Den ersten Mord beging er 1918, so die Ermittler. Kurz danach lernte er seinen zwanzig Jahre jüngeren Geliebten Hans Grans kennen. Das Morden hörte auf, Haarmann bekam seine Lust zu töten in den Griff.
Doch im Februar 1923 begann Haarmann eine der größten Mordserien, die Deutschland je erschütterte. Ab Februar bis Juni 2024 mordete er durchschnittlich ein Mal pro Monat, zwischen Oktober 1923 und April 1924 brachte er wöchentlich ein Opfer um. Der Fußboden seiner Wohnung soll blutgetränkt gewesen sein, berichtet die „Welt“.
Als die Schädel und weitere Knochen aus der Leine gezogen wurden, geriet Haarmann bei den Ermittlern ins Visier. Er gehörte zu rund 80 Männern, die als bekannte Homosexuelle in der Stadt lebten. Er wurde observiert, dann seine Wohnung durchsucht.
Wie Haarman auffliegt
Die Beamten fanden einige Bekleidungsgegenstände und riefen die Bevölkerung zur Mithilfe auf. Mit Erfolg: Eine Frau erkannte eine Jacke wieder, die ihr vermisster Sohn getragen hatte. Auch Hans Grans musste auf dem Revier aussagen. Dort erkannte eine Mutter seinen Anzug wieder: Er hat ihrem Sohn gehört. Grans sagte aus, dass er den Anzug gegen Quittung bei Haarmann gekauft hatte. Haarmann wurde daraufhin verhört.
Die Befragungs- und Untersuchungsmethoden der Polizei waren damals brutal: Haarmann wurde geschlagen und unter Druck gesetzt. In seine Zelle stellten die Beamten Schädel mit roten Papierstücken in den Augenhöhlen auf und platzierten Kerzen dahinter. Auch ein Sack mit Gebeinen wurde in die Zelle gestellt, berichtete der leitende Ermittler in seinen privaten Aufzeichnungen, die laut dem NDR erst in den 1990er-Jahren öffentlich wurden.
Am 1. Juli 1924 gestand Fritz Haarmann, mindestens sieben Männer getötet zu haben. Am Ende konnte man ihm aufgrund der Anzahl der Leichenteile 24 Morde nachweisen.