Die jüngsten Klimanachrichten sind an Dringlichkeit kaum zu übertreffen, dennoch haben sie kaum ein öffentliches Echo. Woran liegt das?
Vor ein paar Wochen stieg ich in Berlin in die U-Bahn und hatte direkt den beißenden Geruch von etwas Verschmortem, etwas Verkohltem in der Nase. Ich war spät dran, musste zu einem Termin und nur ein paar Stationen mitfahren. Der Gestank war so stark, dass ihn jede Person im Waggon riechen musste. Ich hatte keine Ahnung, woher er kam, dachte aber kurz darüber nach, ob vielleicht die Bremsen der Bahn überhitzt seien oder es sich um einen Kabelbrand handeln könnte.
Der Waggon war relativ weit hinten am Zug, sodass der Fahrer es vermutlich nicht riechen konnte. Sollte ich irgendetwas tun? Jemandem Bescheid geben? Aber ich hatte es eilig und niemand anderes schien sich großartig für den Geruch zu interessieren, also beschloss ich, das Problem zu ignorieren. Die wenigen Minuten, die ich mitfahren würde, würde schon nichts Schlimmes passieren.
Was ich in dem Moment tat, ist in der Psychologie gut untersucht. 1968 etwa fanden Forscher in der sogenannten Rauchstudie heraus, wie Menschen reagieren, wenn gefährlich aussehender Rauch in einen Raum eindringt, in dem sie warten müssen. Waren sie allein, meldeten 75 Prozent den Rauch, warteten sie zusammen mit anderen, waren es nur noch 38 Prozent. Waren sie zusammen mit eingeweihten Testpersonen im Raum, die den Rauch bewusst ignorierten, reagierten nur noch 10 Prozent.
Der Mensch ist ein Herdentier
Die Studie machte klar: Um eine Situation zu beurteilen, orientieren sich Menschen an dem Verhalten anderer – und wenn die meisten anderen ruhig bleiben, bleiben wir es auch. Oft selbst dann, wenn es rational betrachtet gar keinen Grund dazu gibt.
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Quelle: t-online
Die aktuellen Klimanachrichten sind an Dringlichkeit kaum zu übertreffen, dennoch hatten sie kaum ein öffentliches Echo. Schon länger gibt es Studien, die nahelegen, dass die Meeresströmung im Atlantik früher aus dem Gleichgewicht kommen könnte, als bisher angenommen, Anfang dieser Woche kam die neueste heraus. Demnach könnte die Atlantikströmung, die unter anderem für das milde Klima in Europa sorgt, sich schon in diesem Jahrhundert deutlich abschwächen.
Das würde das Klimasystem in relativ kurzer Zeit grundlegend verändern, in Deutschland könnte es zu einer starken Abkühlung kommen. Das mag in Zeiten der Erderhitzung auf den ersten Blick gut klingen, hätte aber unter anderem massive Folgen für unsere Landwirtschaft und damit auch der Lebensmittelversorgung.
Mechanismus institutionalisiert sich im Journalismus
Das 1,5-Grad-Ziel
Die Weltgemeinschaft hatte sich 2015 bei der Klimakonferenz in Paris darauf geeinigt, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad, auf jeden Fall aber auf 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die 1,5 Grad gelten dabei als Grenze, um die sich schon jetzt verschärfenden Naturkatastrophen infolge der Klimakrise – zum Beispiel Dürren, Hitzewellen oder Überschwemmungen – in einem Rahmen zu halten, der von der Menschheit bewältigt werden kann.
Der Mechanismus, der in der Rauchstudie untersucht wurde, ist im Journalismus nicht nur beobachtbar, er ist mehr oder weniger institutionalisiert. Wenn Journalistinnen und Journalisten sich auf eine Redaktionskonferenz vorbereiten, dann tun wir dies auch, indem wir uns andere Medien anschauen. Wir hören etwa unter der Dusche die Nachrichten im Radio, lesen in der Bahn, welche Themen die Konkurrenz behandelt und schauen in der Redaktion als Erstes in die Agenturmeldungen.
Wenn kaum ein anderes Medium den Studien zu der abgeschwächten Atlantischen Umwälzströmung, dem möglichen Erreichen von klimatischen Kipppunkten oder der erhöhten Meerestemperatur mehr Aufmerksamkeit schenkt – dann kann es ja gar nicht so relevant sein, so die Wahrnehmung.