Das Bündnis Sahra Wagenknecht will wachsen, benötigt neue Mitglieder. Doch wie wächst man als neue Partei, ohne dass Extremisten ein Parteibuch bekommen? t-online hat an der Basis nachgefragt.
Sein Leben lang hat er sich antifaschistisch engagiert. Er hat sich eingesetzt für eine gemeinsame Idee der Türken und Kurden, für die Sinti und Roma und gegen Rechtsextremismus. Savas Sari, 49 Jahre alt, hat türkische Wurzeln, ist in Deutschland geboren und lebt seitdem in Kiel. Sari war noch nie in einer politischen Partei. Bis jetzt.
Sari ist Gründungsmitglied des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) geworden und hat die große Verantwortung, sich darum zu kümmern, dass die Partei „gesund wächst“ – zumindest in Schleswig-Holstein, seinem Bundesland. Seine Aufgabe: Er soll Extremisten aus dem Bündnis heraushalten, auch wegen der Erfahrung, die andere neue Parteien wie etwa die AfD in puncto Radikalisierung haben machen müssen.
Doch wie geht das eigentlich? Ist das überhaupt möglich? Und wie erkennt man Extremisten?
Bauchgefühl entscheidet
Sari sagt: „Man hat da ein Bauchgefühl.“ Doch darauf allein will und kann er sich nicht verlassen. Er und die anderen Wachstumshüter in den übrigen Bundesländern, in denen das BSW nun Parteigliederungen gegründet hat, müssen genauer hinschauen.
Das beginnt zuallererst bei den schriftlichen Anfragen von Interessenten, die beim BSW mitmachen wollen. Mehr als 50 davon hat Sari dieser Tage auf seinem Schreibtisch liegen. Alles mögliche Mitgliedskandidaten, alles Menschen, die ihre politische Zukunft in der neuen Partei sehen.
Acht Mitglieder in Schleswig-Holstein
Die ist in Schleswig-Holstein bislang noch sehr klein. Gerade einmal acht Mitglieder hat sie, gesehen haben sie sich erstmals beim Bundesparteitag vor gut zwei Wochen in Berlin. Sie müssen jetzt organisieren, wer als Mitglied aufgenommen wird und wer nicht.
Mehrfach will sich Sari deshalb mit den Anwärtern treffen und mit ihnen über ihre politischen Ansichten reden. Ein Patentrezept gebe es für das Einschätzen der Menschen nicht. Am vergangenen Samstag hat das BSW erst einmal alle Anwärter zu einem politischen Zusammensein eingeladen – an einem Ort in Kiel, der den Gästen erst kurz vorher mitgeteilt wurde. Zu groß war die Sorge, dass die Veranstaltung gestört wird. Denn viele Menschen sehen das Bündnis Sahra Wagenknecht kritisch. Zu russlandfreundlich sei das BSW, zu hart in der Migrationspolitik und zu groß die Anziehungskraft auf sogenannte Schwurbler.
„Dabei grenzen wir uns ganz klar von Faschismus ab“, sagt Sari, der das glaubhaft wie kaum ein anderer behaupten kann. Er bezeichnet sich selbst als Aktivist, engagiert sich in einem Verein, der sich für den türkisch-kurdischen Schulterschluss einsetzt. Er ist seit 23 Jahren in der Jugendhilfe aktiv und arbeitet dort als pädagogischer Leiter, kämpft privat gegen die AfD.
Sari bezeichnet sich als Aktivist
Er hat selbst eine Migrationsgeschichte in der Familie. In diesem Punkt hat er schon eine kleine Kritik an seiner neuen Partei und auch an der Vorsitzenden. Auch wenn er Sahra Wagenknecht schätze, spitze sie manchmal zu sehr zu. „Migration ist ungleich illegale Einwanderung“, stellt er fest. Es werde dem Thema nicht gerecht, wenn man Migration verteufele. „Da wird auch noch etwas kommen von der Partei“, sagt er. Gerade wenn er auf seine Mitstreiter in Schleswig-Holstein, aber auch den Bundesvorstand schaut.
Erstes Treffen gut gelaufen
Nach dem Sammeltreffen am vergangenen Samstag in Kiel – „ist gut gelaufen“, sagt Sari – will er nun möglichst schnell Einzelgespräche mit den Teilnehmern führen – vier pro Bewerber sollen es werden. Und im Zweifel auch im Internet zu ihnen recherchieren. Wenn man da extremistische Äußerungen finde, dann könnten sie nicht Mitglied werden. Von sich selbst sagt er: „Wenn das toleriert wird, bin ich raus!“
Internetcheck
Wenn aber nichts Bedenkliches auf den gängigen Plattformen wie Facebook, X oder Instagram zu finden sei, sollen sie schnellstmöglich aufgenommen werden. Die Partei müsse nun rasch wachsen.
Alles anders in Sachsen-Anhalt
Anders sieht das sein Parteifreund aus Sachsen-Anhalt, John Lucas Dittrich. Auch er ist einer der Wachstumswächter, wurde sogar in den Bundesvorstand gewählt. Dittrich studiert derzeit noch in Magdeburg auf Lehramt und organisiert den Aufbau der Partei in seinem Bundesland. Geht es nach ihm, sollte sich die junge Partei noch mehr Zeit lassen mit der Aufnahme von Neumitgliedern. Ihn treibt die Sorge um, dass bei einem zu schnellen Wachstum die Prüfung der Neumitglieder leiden könnte. „Es gibt Leute, die noch in der AfD sind und sich vorgestellt haben. Das passt nicht mit uns zusammen“, sagt er. Deshalb sei ihm eine Partei „mit anfangs wenig Mitgliedern lieber als schnelles Wachstum“.