Junge Menschen haben bei der Europawahl konservativen bis rechten Parteien ihre Stimme gegeben – anders als früher. Überraschend ist das allerdings nicht, sagt ein Jugendforscher.
Bei der Europawahl haben Jugendliche und junge Erwachsene vorwiegend für die CDU und die AfD gestimmt (t-online berichtete). Dabei sah es bei früheren Wahlen ganz anders aus: Sowohl bei der Bundestagswahl 2021 als auch bei der Europawahl 2020 wählten sie eher die Grünen oder die FDP. Die Klimakrise stand für junge Menschen an erster Stelle.
Für Jugendforscher Simon Schnetzer ist das Wahlergebnis der AfD allerdings weniger überraschend, wie er im Gespräch mit t-online sagt. Die Ergebnisse seiner jüngsten Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigten schon im April, dass die Jugend – wie die Gesamtbevölkerung – nach rechts rückt. Besonders groß sind laut Studie die finanziellen Sorgen durch Inflation, teuren Wohnraum und Angst vor Altersarmut. Mit ganz konkreten Folgen: Im Vergleich zu früheren Studien hat sich das Potenzial für rechtspopulistische Tendenzen deutlich verstärkt.
Den Grund dafür sieht Schnetzer unter anderem in der starken Präsenz der AfD auf sozialen Medien: „Die AfD hat dort eine gewisse Informationshoheit und entscheidet, was junge Menschen von der Partei erfahren.“ Warum die in Teilen rechtsextreme Partei bei der jungen Generation so erfolgreich ist und was demokratische Parteien dem entgegensetzen können, erklärt der Jugendforscher im Interview mit t-online.
t-online: Herr Schnetzer, junge Erwachsene haben bei der Wahl eher konservativ bis rechts gewählt. Wie überraschend ist das?
Simon Schnetzer: Als wir im April die Ergebnisse unserer jüngsten Jugendstudie veröffentlicht hatten, war es sehr überraschend, dass die Jugend nach rechts rückt. Blicken wir aber darauf, dass junge Menschen sehr programmatisch wählen, überraschen die Ergebnisse weniger.
Vor fünf Jahren war „Fridays for Future“ sehr stark, aus dieser Prägung wurde die aktuelle Regierung gewählt. Nun gewannen jedoch Parteien, die mit der Angst vor Wohlstandsverlusten und einer strengeren Flüchtlingspolitik werben.
Woher kommt dieser Wandel?
Die Klimakrise war die größte Sorge, die junge Menschen in den vergangenen Jahren umgetrieben hat. Jetzt sind es finanzielle Sorgen – ausgelöst durch die Inflation und die hohen Energiekosten. Konkret stellt sich ihnen die Frage: Reicht es noch für ein Leben im Wohlstand? Viele junge Menschen müssen aktuell verzichten. Das wirkt sich auf die nächste Sorge aus: Wenn es nicht mehr für alle reicht, wie können wir dann für Flüchtlinge da sein? In unserer Studie haben 51 Prozent der Jugendlichen der Aussage zugestimmt, dass die Regierung sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche kümmert.
Simon Schnetzer ist Jugendforscher und veröffentlicht seit 2010 gemeinsam mit Kilian Hampel (Universität Konstanz) und Klaus Hurrelmann (Hertie School, Berlin) die Trendstudie „Jugend in Deutschland“.
Die Ampel schafft es also nicht, zu erklären, dass genug für alle da ist?
Hier geht es weniger um gute Kommunikation, sondern vielmehr um eine konkrete Angst vor Armut. Wenn Menschen durch den Sparkurs der Bundesregierung das Gefühl haben, dass das Geld nicht mehr für alle reicht, steigt der Druck im Kessel.
Die Grünen haben sich stattdessen aber gegen eine strenge Migrationspolitik und für Klimaschutz ausgesprochen. Lagen sie damit also falsch?
Nein, das würde ich nicht sagen. Eigentlich haben die Grünen vieles richtig gemacht. Sie leisten viel Basisarbeit, kommunizieren gut und schauen, was sie als Partei tun müssen, damit sich junge Menschen mit ihrem Programm identifizieren können.
Jugendliche und junge Erwachsene sehen neuerdings genau die Grünen-Themen als starke Gefahr für ihren eigenen Wohlstand – also etwa Klimaschutz und eher offene als geschlossene Grenzen. Dann ist verständlich, dass sie politisch abwandern.
Die Grünen würden mit Blick auf die Klimakrise ebenfalls von sich sagen, dass sie den Wohlstand schützen wollen. Warum sind sie mit ihrer Argumentation nicht so erfolgreich wie die AfD?
Die Geldsorgen wirken sich akuter im Alltag aus, wenn man nicht gerade selbst vom Hochwasser oder einer anderen Naturkatastrophe betroffen ist. Viele haben das Gefühl, sich Klimaschutz nicht leisten zu können.