Der Unmut von Pendlern und Reisenden über den Bahnstreik ist groß. Viele Bahnmitarbeiter halten ihn dagegen für notwendig. Doch es gibt auch andere Stimmen.
Claus Weselsky gibt sich weiter kämpferisch. Bevor er verhandeln werde, müsse die Deutsche Bahn „von ihrem hohen Ross herunterkommen“, sagte der Chef der Lokführergewerkschaft GDL zu Beginn des sechstägigen Streiks am Mittwoch. Nach der Chance für ein vorzeitiges Ende des Streiks klang das nicht. Für viele Pendler und Reisende ist das ein Ärgernis.
Doch Weselsky hat viel Rückendeckung in den eigenen Reihen. Am 19. Dezember sprachen sich rund 97 Prozent seiner Gewerkschafter für weitere Streiks ab Januar aus. Viele Bahner unterstützen seinen konfrontativen Kurs. Doch längst nicht alle.
Ehemaliger Lokführer: „Die Bevölkerung wird terrorisiert“
Zum Beispiel Jürgen Schubert. Er arbeitete drei Jahre lang als Lokführer bei der Deutschen Bahn, bis er vor Kurzem in eine andere Branche gewechselt ist. Schubert heißt eigentlich anders, doch aus Angst vor der Wut früherer Kollegen will er sich nicht mit seinem wahren Namen äußern. Die Bahn sei zwar kein „Traumarbeitgeber“, sagt er, und die hohen Boni für den Vorstand seien auch fragwürdig. Es gebe aber weit anstrengendere Jobs, als bei der Bahn Lokführer zu sein.
Anonymisierung
Einige der Personen, die in diesem Artikel zu Wort kommen, möchten dies nur anonym tun. t-online hat daher ihre Namen geändert und etwaige Hinweise auf ihre Identität nicht erwähnt. Ihre echten Namen sind der Redaktion bekannt.
Die Forderungen der GDL nach kürzeren Arbeitszeiten hält Schubert für „nicht darstellbar“. Die Umstellung auf eine 35-Stunden-Woche würde bedeuten, dass die Bahn mehr Lokführer einstellen müsste. Doch die gebe es auf dem Arbeitsmarkt gar nicht, sagt Schubert. Zudem sei die Arbeitszeit kaum relevant, um neue Bewerber anzuziehen: „Die jungen Leute suchen nach einer sinnvollen Arbeit. Ein paar Stunden Arbeit weniger pro Woche machen den Kohl nicht fett.“
Die Wochenarbeitszeit ist der größte Streitpunkt zwischen Bahn und GDL. Die Bahn hatte zuletzt angeboten, dass Schichtarbeiter ihre Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt von 38 auf 37 Stunden pro Woche reduzieren können. Wenn sie bei 38 Stunden blieben, würden sie 2,7 Prozent mehr Geld bekommen. Der GDL ist das zu wenig, sie fordert, dass die Bahn die Arbeitszeit bei gleichem Gehalt auf 35 Stunden reduziert.
Schubert war früher selbst Mitglied der GDL. Er sei dann aber ausgetreten, weil er sich nicht mehr „vor den Karren“ von Weselsky habe spannen lassen wollen, wie er sagt. Er sieht den GDL-Chef kritisch, wirft ihm „extrem selbst inszenierende Züge“ vor. „Ich kann auch nicht verstehen, dass viele meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ihm einfach bei allem, was er tut, wie die Lemminge folgen“, sagt Schubert.
Zudem kritisiert er die Mitgliederzeitschrift der GDL, das Magazin „Voraus“. Im Vergleich dazu nähmen sich die Werbebroschüren religiöser Sekten harmlos aus, sagt er. Das Recht zu streiken sei ein hohes Gut, das viele Menschen mit ihrem Leben erstritten hätten. Es sei aber mit Augenmaß zu verwenden, was aktuell nicht der Fall sei: „Hier wird die Bevölkerung millionenfach jetzt täglich regelrecht terrorisiert“, sagt Schubert.
Fahrdienstleiter: „Die Lokführer haben mehr verdient“
Hermann Schröder (Name geändert) ist Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn. Er sagt, die GDL müsse zu Verhandlungen bereit sein. Allerdings hat er Verständnis für den Streik – auch wenn er selbst Mitglied bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist, die teils in Konkurrenz zur GDL steht.
Für den Arbeitskampf gebe es gute Gründe. Die häufigen technischen Probleme und Verspätungen der Bahn bedeuteten auch für Lokführer viel Stress. Viele von ihnen arbeiteten deshalb bereits in Teilzeit.
Darüber hinaus trügen die Lokführer viel Verantwortung und seien hohen Belastungen ausgesetzt, ihre Forderungen nach kürzeren Arbeitszeiten seien daher angemessen. Streiks seien ihr gutes Recht: „Wer die Streiks nicht will, muss die Lokführer wieder verbeamten“, sagt er.