Wenn die Politik es nicht macht, muss der Wandel woanders herkommen. Wie jeder Veränderungen mit anschieben kann, die über den eigenen Haushalt hinausgehen – ohne sich auf der Straße festzukleben.
Wir alle kennen soziale und technologische Kipppunkte. Der Fall der Mauer war für meine Mutter noch unvorstellbar, als ich geboren wurde. Er kam völlig überraschend und dennoch nicht willkürlich. Er war möglich, weil viele Menschen in unterschiedlichen Organisationen und auf unterschiedlichen Ebenen darauf hingearbeitet und ihn – auch in den Köpfen – ermöglicht haben.
Auch im technologischen Bereich gibt es Kipppunkte, auch hier verläuft Veränderung nicht linear. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an den Moment, als innerhalb relativ kurzer Zeit auf einmal die meisten meiner Freunde und Bekannten ein Smartphone hatten.
Oder nehmen wir die Zulassung von Elektroautos: Jahrelang dümpelte sie in Deutschland vor sich hin. Doch seit 2020 macht sie auf einmal einen riesigen Sprung. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) war jahrelang eher zurückhaltend, was die Aussichten für den Ausbau erneuerbarer Energien anging. Mittlerweile geht auch sie davon aus, dass die Kapazitäten in den kommenden Jahren stark steigen werden.
Veränderungen können auch von unten kommen
Wenn die Veränderungen aber nicht von der Politik ausgehen, dann müssen Bürgerinnen und Bürger aktiv werden. Klingt anstrengend? Ja, es wäre mir auch lieber, wenn es anders ginge. Doch die gute Nachricht ist: Es geht einfacher, als viele denken.
Ein Großteil der Emissionen ließe sich relativ leicht und schnell einsparen, ohne dass etwas neu erfunden oder massiv umgebaut werden müsste. Einfach durch kollektive Verhaltensänderungen (das ist der hellgelbe Bereich in der Grafik). Das bedeutet nicht, ich muss darauf warten, dass mein Onkel Vegetarier wird.
Sie müssen keine Experten sein
Um aktiv zu werden, muss niemand Klimaexperte sein. Die allermeisten Menschen sind bereits Expertinnen. Für ihren Job, ihr Hobby, ihre Gemeinde, ihr Herzensthema. Viele dieser Bereiche sind schon heute von der Klimakrise betroffen, einige mehr, andere weniger offensichtlich. Zugleich tragen sie oft auch zu dieser bei.
Eine Freundin, die im Verein Fußball spielt, hat schon heute während einer Hitzewelle Schwierigkeiten beim Training, oder wenn ihr Bolzplatz wegen Starkregens unter Wasser steht. Andererseits sorgen Bratwürste beim Vereinsgrillen, das Flutlicht beim Training am Abend oder die Anreise mit dem Auto zum Auswärtsspiel dafür, dass Emissionen ausgestoßen werden, die die Erderhitzung weiter ankurbeln.
Die Frage ist also: Was können Einzelne in ihren Bereichen, in denen sie aktiv sind, verändern, um das zu schützen, was ihnen wichtig ist?
Brandschutz als Vorbild
Wer gern Fahrrad fährt oder will, dass die eigenen Kinder oder Enkelinnen sicher an der Schule ankommen, kann lokale Initiativen unterstützen, die die Verkehrswende vor Ort vorantreiben.
Wer zur Schule oder Uni geht oder in einer Firma mit Kantine arbeitet, kann sich mit anderen zusammenschließen und dafür sorgen, dass mehr attraktive vegetarische Gerichte angeboten werden.
Oder ein bisschen größer gedacht: Meine Mutter arbeitet in einer großen Firma, die regelmäßig Brandschutzschulungen durchführt. Ihre Idee: Was wäre, wenn man diese um eine Klimaschutzschulung ergänzte? Würde etwa ein Großkonzern wie Siemens alle seine Mitarbeitenden schulen, könnten auf einen Schlag so viele Menschen für die Dringlichkeit der Klimakrise und die Handlungsmöglichkeiten sensibilisiert werden, wie in Gießen wohnen.
Was das bringt?
Indem wir die vermeintlich abstrakte Klimakrise in unseren Freundeskreis, unsere Nachbarschaft, in Schulen und Vereine tragen, verändern wir auch etwas in den Köpfen. Damit werden für viele abstrakte oder überwältigende Themen aus der Politik und den Medien konkret in den Alltag geholt. Das sorgt zunächst vielleicht für Reibung, aber auch für Umdenken und idealerweise sogar für positive neue Erfahrungen. Veränderungen werden vorstell- und erlebbar und stellen sich am Ende vielleicht sogar als Verbesserungen heraus. Oder zumindest als nicht so schlimm wie befürchtet. Und so machen wir drittens politische Maßnahmen wahrscheinlicher. Denn wer erlebt, dass auf lokaler Ebene klimaschonende Veränderung möglich und nicht schlimm ist, reagiert auch auf politische Initiativen offener.