Nikolaj B. postete an der Absturzstelle der abgeschossenen Maschine MH17 Fotos von einem Tagebuch eines Opfers und kämpfte in Syrien auf russischer Seite. Zwischen seinen Frontreisen zieht er 2019 nach Stendal in Sachsen-Anhalt. Dort wird ein Ermittlungsverfahren gegen ihn gestartet. t-online liegt die Anzeige eines Ukrainers vor, der ihn 2016 auf Fotos bei Facebook und dem russischen sozialen Netzwerk VK als Donbass-Milizionär erkannt hatte.
Doch die Staatsanwaltschaft Stendal stellt das Verfahren im Juli 2022 mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Es habe eine Hausdurchsuchung gegeben, dabei sei es aber um den Verdacht anderer Straftaten gegangen. Von Kampfeinsätzen im Donbass wisse man nichts, teilt die Staatsanwaltschaft Stendal auf Anfrage mit.
Wenn Nikolaj B.s eigene Angaben stimmen, dann hat er der ersten Einheit von 50 Kämpfern angehört, die den Angriff auf die Stadt Slowjansk führten, sagte der Extremismusforscher Kacpar Rekawek vom International Centre for Counter-Terrorism dem TV-Magazin „Frontal 21“: „Wenn Du zu dieser Gruppe gehörst, bist Du schon sehr nah dran am Zentrum des Bösen. Du hast beste Verbindungen zum russischen Sicherheitsapparat.“
Einem russischen Kanal gab Nikolaj B. im Oktober 2022 ein langes Interview. Dort erzählte er stolz von seiner Teilnahme an einem Nato-Manöver 2018 in Bayern. Der Mann, der auf russischer Seite im Donbass gekämpft hatte, war demnach nun drei Wochen bei einer Übung, unter anderem mit ukrainischen Soldaten.
Zivilisten werden tatsächlich von Unternehmen für solche Militärübungen als „Civilians on the Battlefield“ rekrutiert, also Zivilbevölkerung, die das simulierte Kampfgeschehen mit Eroberung und Rückeroberung von Orten realistischer machen sollen. Unter den Statisten sind viele Russen und Deutschrussen, die treu zu Russland stehen, wunderte sich eine „taz“-Reporterin, die 2017 selbst in eine Statistenrolle geschlüpft war. Wer bei einem Manöver mit solchen Positionen auffällig werde, fliege raus, heißt es von deutschen Sicherheitsbehörden. Bei der Statistensuche werden zumindest heute von den Agenturen auch Aufenthalte im Ausland abgefragt und teilweise deutsche Stellen angefragt.

Vom Nato-Manöver ging es für Nicolaj B. später wieder in den Donbass. 2022 meldete er sich in Rostow am Don zur „Sonderoperation“, ehe er 2023 wieder nach Essen zurückkehrte.
Was wissen deutsche Sicherheitsbehörden über all diese Kämpfer? Oft wenig. Etwa in Hamburg: t-online ist neben Pyatrashka-Kämpfer Viktor K. auf drei weitere Kämpfer aus der Hansestadt gestoßen. Die Behörden dort konnten nichts sagen zu prorussischen Kämpfern, Rückkehrern und etwaigen Verfahren gegen sie. „Weder dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg noch dem Staatsschutz der Polizei Hamburg liegen Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor“, hieß es auf Anfrage.
Zumindest ein Teil der Erklärung dafür steckt in einer Antwort des saarländischen Innenministeriums: „In Deutschland besteht Reisefreiheit. Grundsätzlich entscheidet jeder selbst, wohin und vor allem aus welchem Grund er reisen möchte. Eingriffe in die Freiheitsrechte unterliegen strengen Anforderungen.“ Bekannte Rechts- oder Linksextremisten haben die Behörden auf dem Radar, einfache Kriminelle oder gar bis dahin unbescholtene Russland-Unterstützer mit deutschem und anderem Pass reisen unbemerkt.
Der Brite Joseph Jones, der viele Jahre beim britischen Militärgeheimdienst tätig war, weiß auch, wie leicht es ist, zurück nach Deutschland zu kommen. Die Kämpfer benutzten verschiedene Pässe und reisen über die Türkei oder kommen über Chișinău, Moldau, in den Schengenraum, erklärt er. Ab da gibt es praktisch kaum noch Kontrollen.
Der zumindest nach außen leichtfertig erscheinende Umgang deutscher Sicherheitsbehörden mit prorussischen Kämpfern und Unterstützern stößt bei Experte Jones dennoch auf Unverständnis. Er sagt: „Diese Personen haben jeden Tag Gewalt gesehen, getötet, und sehen das inzwischen als normal an. Rückkehrer bringen die Werte dieser russischen Armee mit zurück, wenn sie hierherkommen.“ Betrachte man das und schaue sich an, was sie Ukrainern und ukrainischen Soldaten angetan hätten, sei „erstaunlich“, wie wenig Aufmerksamkeit die Behörden ihnen schenken.
Der Fall des Deutschen Dieter S. aus Bayreuth, der sich von einem anderen Kämpfer im Donbass für Sabotageaktionen ansprechen ließ, scheint da wie ein Beleg. Der Hinweis auf ihn soll von einem ausländischen Geheimdienst gekommen sein – und galt zunächst tatsächlich nur dem Spionage- und Sabotageverdacht. Erst danach folgte ein weiterer Haftbefehl: wegen der Aktivitäten von Dieter S. als Kämpfer im Donbass.