Die Inflation sinkt. Und glaubt man Bundesbankpräsident Joachim Nagel, geht das auch so weiter. Im t-online-Interview erklärt Deutschlands oberster Währungshüter, womit Verbraucher 2024 rechnen können.
Es ist ein grauer Dezembertag in Frankfurt am Main, kalt breitet sich die Stadt mit ihren schlanken Hochhäusern vor Joachim Nagel aus, als er aus dem Fenster blickt. Trotzdem wirkt der Präsident der Bundesbank fast vergnügt an diesem Morgen.
Einer der Gründe dafür findet sich in der amtlichen Statistik: Die Inflation in Deutschland und Europa sinkt spürbar. Für Nagel, Deutschlands obersten Währungshüter, und seine Mitstreiter im Rat der Europäisch Zentralbank (EZB) rückt das Ziel einer jährlichen Teuerungsrate in Höhe von 2 Prozent in Sichtweite. Im Interview mit t-online erläutert er, wo er die Inflation im Alltag spürt, warum die Zinsen allzu bald noch nicht fallen dürften – und welche Auswirkungen die jüngsten Beschlüsse der Ampelregierung zum Haushalt für die deutsche Wirtschaft haben könnten.
t-online: Herr Nagel, wie viel haben Sie auf dem Weihnachtsmarkt zuletzt für eine Tasse Glühwein bezahlt?
Joachim Nagel: Kürzlich in Berlin habe ich fünf Euro bezahlt, plus Pfand. Da habe ich mich schon gefragt, was so ein Becher wohl vor einem Jahr gekostet hat. Ich meine, damals waren es 50 Cent weniger.
Das wäre dann ein Preissprung von 11 Prozent, weit mehr als die durchschnittliche Inflation.
Richtig. Ganz überraschend ist das allerdings nicht: Da spielen sicher teurere Zutaten eine Rolle. Auch die Mitarbeiter, die dort am Stand stehen, könnten in diesem Jahr mehr verdienen als im vergangenen Jahr.
Wo spüren Sie die Teuerung noch?
Mir begegnet die Inflation vor allem im Supermarkt. Ich koche sehr gern, meistens am Wochenende und kaufe dann auch dafür ein. Dabei stelle ich fest, dass viele Lebensmittel teurer geworden sind. Manches wurde zuletzt aber auch wieder billiger, etwa Butter oder Vollmilch. Aber insgesamt zeigt sich die Inflation bei den Lebensmitteln immer noch ganz deutlich.
Sie sind als Präsident der Bundesbank und Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Preisstabilität verantwortlich. Sie sollen dafür sorgen, dass die Verbraucherpreise im Jahresschnitt nur um rund zwei Prozent steigen. Wie fühlt es sich an, dieses Ziel jetzt im dritten Jahr in Folge zu verfehlen?
Nicht gut natürlich. Die Preisstabilität ist unser Kernmandat. Und Preisstabilität ist aus Sicht des EZB-Rats erreicht, wenn die Inflationsrate im Euroraum mittelfristig 2 Prozent beträgt. Wir müssen weiter auf dieses Ziel hinarbeiten. Die EZB hat nun zehnmal hintereinander die Zinsen angehoben und damit viel erreicht: Die Inflation geht deutlich zurück. Noch vor einem Jahr hatten wir zweistellige Inflationsraten, nun liegen wir unter 3 Prozent. Die Geldpolitik wirkt.
Im November immerhin ist die Inflation in Deutschland deutlich gesunken. Wird sich dieser Abwärtstrend jetzt fortsetzen?
Mittelfristig bewegt sich die Inflation in die richtige Richtung: nach unten. Zum Jahreswechsel dürfte die Teuerung vorübergehend noch einmal steigen, weil sich Sondereffekte auswirken. Die Inflationsrate vergleicht nämlich die aktuellen Preise mit denen vor genau einem Jahr. Und im Dezember 2022 hat unter anderem die vom Bund gewährte Soforthilfe für Gas und Fernwärme das Preisniveau stark gedrückt. Diese entfällt nun, und deshalb fallen die Preise im Vergleich zu damals merklich höher aus. Insgesamt müssen wir wachsam bleiben: Inflationsbekämpfung ist kein Selbstläufer.
Und womit rechnen Sie für das kommende Jahr, wie hoch wird die Inflation 2024 in Deutschland sein?
Die Inflationsrate wird sich 2024 mehr als halbieren: Nach unserer Deutschland-Prognose liegt sie in diesem Jahr im Schnitt noch bei 6,1 Prozent, nächstes Jahr fällt sie dann auf 2,7 Prozent.