Zwei Studenten geraten aneinander, dann prügelt der eine auf den anderen ein. Doch die Meldung der Polizei über den Tathergang scheint sich nicht mit Aussagen von Zeugen zu decken.
Ein 23-Jähriger soll laut Angaben der Polizei am Freitagabend einen 30 Jahre alten jüdischen Kommilitonen in Berlin angegriffen haben. Hintergrund der Tat soll laut Polizei ein Streit über den Krieg in Gaza gewesen sein. Wie ein Sprecher am Samstag mitteilte, schlug der Tatverdächtige auf den Mann ein und trat ihn. Das Opfer sei mit Gesichtsfrakturen in ein Krankenhaus gebracht worden.
Das 30-jährige Opfer und sein 24 Jahre alter Begleiter waren den Angaben der Polizei zufolge gegen 23.45 Uhr auf der Brunnenstraße in Berlin-Mitte unterwegs, als sie dort auf einen ihnen bekannten 23-jährigen Mitstudenten getroffen seien. Der 30-Jährige sei jüdischen Glaubens, sein Mitstudent vertrete pro-palästinische Ansichten und habe diese auch bereits mehrfach in den sozialen Medien vertreten, teilte die Polizei mit.
Die Glaubenszugehörigkeit sei auch der Auslöser für die von der Polizei zunächst noch als „Streitgespräch“ bezeichnete Diskussion gewesen, die zwischen den Männern entbrannte. Dann habe der 23-Jährige unvermittelt und mehrfach mit der Faust in das Gesicht des 30-Jährigen geschlagen, sodass dieser zu Boden fiel.
Auch als das Opfer bereits am Boden lag, habe der Angreifer weiter auf ihn eingetreten. Dann sei er zunächst zu Fuß über die Torstraße in Richtung Ackerstraße geflüchtet. Der 30-Jährige erlitt den Angaben nach mehrere Brüche im Gesicht, sei aber nicht in Lebensgefahr gewesen.
Bei dem Opfer soll es sich um Lahav Shapira handeln
Auf dem Nachrichtendienst X teilte Comedian Shahak Shapira nun mit, dass es sich bei dem Opfer um seinen Bruder Lahav gehandelt habe. „Er wurde operiert und es geht ihm ok“, schrieb Shapira. Entgegen der Angaben der Polizei habe es jedoch „keinerlei politische Debatte“ gegeben, bevor der 23-Jährige zugeschlagen habe: „Er wurde vom Angreifer in der Bar erkannt, dieser ist ihm und seiner Begleitung gefolgt, hat sie aggressiv angesprochen und ihm dann unangekündigt ins Gesicht geschlagen“, so Shapira.
Angaben der Polizei, nach denen es vor dem Angriff zu einem Streit gekommen sein soll, bestritt auch die Begleitung des Opfers, wie „Zeit Online“ berichtet. Der Angreifer sei ihnen demnach aus der Bar gefolgt und habe Shapira auf der Straße auf seinen politischen Aktivismus angesprochen. Shapira setzt sich an der Freien Universität (FU) in Berlin für die Belange jüdischer Studierender ein.
Lahav und Shahak Shapira sind die Enkel von Amitzur Shapira, dem Leichtathletik-Trainer der israelischen Delegation bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Auch er wurde Opfer antisemitischer Gewalt: Beim Massaker an den israelischen Sportlern durch die Terrororganisation „Schwarzer September“ wurde Amitzur Shapira ermordet.
Shahak Shapira hatte bereits in der Vergangenenheit von antisemitischen Angriffen auf ihn berichtet, die am Silvesterabend 2014 stattfanden.
Ermittlungen der Kriminalpolizei zu dem mutmaßlichen Angriff auf Lahav Shapira, dessen Name in der Polizeimeldung nicht genannt wird, ergaben im Anschluss, dass der mutmaßliche Täter in Schöneberg wohnt. Dort wurde er von den Fahndern letztlich angetroffen und seine Wohnung auf Anordnung eines Richters durchsucht. Die Beamten beschlagnahmten sein Handy und andere mögliche Beweismittel.
Eine Sprecherin sagte am Sonntag, dass der Tatverdächtige die Möglichkeit bekomme, sich zu dem Geschehen zu äußern. Die Beamten werten bei ihren Ermittlungen außerdem Beweismittel aus, hieß es. Die weiteren Ermittlungen hat der Staatsschutz des Landeskriminalamtes übernommen.
FU Berlin: „Wir sind tief betroffen“
Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), Hanna Veiler, hat im Gespräch mit „Zeit Online“ besorgt auf die Sicherheit jüdischer Studierender auf deutschen Straßen reagiert. Laut Veiler gäbe es seit Jahren an Universitäten wie der Freien Universität in Berlin und vielen anderen Einrichtungen ein antiisraelisches Klima, das den offenen Antisemitismus fördere.
Schon lange fordern jüdische Organisationen Handeln seitens der Universitätsleitungen, jedoch seien bislang nur wenige öffentliche Statements erfolgt. „Universitätsleitungen muss klar sein, dass es in ihrer Verantwortung liegt, der Ausbreitung des Judenhasses an ihren Einrichtungen und unter ihrer Studierendenschaft den Nährboden zu nehmen“, so Veiler.
Die Freie Universität Berlin schrieb auf X zu dem Vorfall: „Wir sind tief betroffen. Die Freie Universität Berlin steht für Offenheit und Toleranz und distanziert sich von jeglicher Form von Hetze und Gewalt.“