Im Vatikan herrscht vor dem Konklave Nervosität: Wer wird das Erbe von Papst Franziskus antreten? Während die Welt noch rätselt, haben im Kirchenstaat längst die ersten Manöver begonnen.
Bis zum Konklave bleiben nur noch wenige Tage. Simon Biallowons kennt den Vatikan, kennt die Strippenzieher und die Spannungen hinter den Kulissen. Im Interview mit t-online spricht der Autor und Geschäftsführer des Herder Verlags über die Lage der katholischen Kirche vor der anstehenden Papstwahl, die Stimmung im Machtzentrum des Vatikans – und erzählt, welche Kardinäle sich Chancen auf den Papstthron ausrechnen können.
t-online: Herr Biallowons, wenn Sie die katholische Kirche derzeit mit einem Theaterstück vergleichen müssten: Was sehen wir uns an? Eine Tragödie? Eine Komödie?
Eine Operette. Das Ganze hat teilweise etwas Spielerisches, für Außenstehende sicherlich auch Ungewohntes, Überholtes oder gar bisweilen Komisches. Zugleich geht es um viel Ernstes, was auf den ersten Blick für Außenstehende nicht so wirkt. Es ist doch beeindruckend, wie viele Menschen Anteil nehmen. Es zeigt, wie wichtig die Kirche noch immer ist – entgegen manchen Unkenrufen oder auch der Apokalypsen-Stimmung in Deutschland.
Wie ist aktuell die Stimmung im Vatikan?
Geteilt. Viele schätzen Franziskus persönlich sehr – menschlich, spirituell, was seine Reformen betrifft. Aber strukturell hat er vieles nicht erledigt. Organisationstechnisch hängt einiges in der Luft. Das frustriert. Und dann ist da die große Frage: Wer kommt nach ihm? Wird es einen Bruch geben oder wird sein Kurs fortgesetzt?
Video | So läuft das Konklave ab
Beobachter sprechen von fast bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Vatikan. Wie sehen Sie das?
Zugespitzt, klar. Aber nicht falsch. Die Frontlinien verlaufen nicht entlang nationaler Grenzen, sondern zwischen Reformwilligen und Bewahrern. Ich mag diese Begriffe „liberal“ und „konservativ“ nicht, aber sie helfen manchmal, das Feld einzugrenzen.
Man darf sich da nichts vormachen: Die Kirche ist und bleibt ein stark hierarchisch organisiertes System, auch wenn es zuletzt wichtige Lockerungen und Veränderungen gegeben hat. Und genau deshalb entsteht sofort Spannung, wenn es an der Spitze ein Machtvakuum gibt. Was wir derzeit erleben, ist nichts, was allein mit Papst Franziskus zu tun hätte – das ist ein strukturelles Problem, das sich schon seit Jahren abzeichnet. Man spürt, wie drastisch sich die Welt verändert. Es geht im Kern um die Frage: Passt sich die Kirche der Welt an – oder grenzt sie sich ab?
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Kritiker der Reformen verweisen gerne auf die leeren Kirchen in Deutschland. Sie argumentieren: Mehr Offenheit bringt offenbar die Gläubigen nicht zurück. Für Sie ein Argument mit Gewicht?
Hier lässt sich ein Kausalzusammenhang nicht beweisen. Ist die Öffnung der Kirche der Grund für die leeren Gotteshäuser? Oder hätten längst viel mehr Gläubige der Kirche den Rücken gekehrt, hätte es eine gewisse Öffnung nicht gegeben? Für mich als Verleger liegt ein Vergleich mit einem Buchtitel nahe: Vielleicht hätte sich ein bestimmtes Buch mit einem anderen Cover besser verkauft. Vielleicht nicht. Man wird es nicht erfahren.
Ich sehe ganz woanders ein Problem: Es fehlen sichtbare, glaubwürdige Gesichter in der Katholischen Kirche. Wer sind heute die Stars der Kirche? Wer begeistert junge Menschen? Wer lebt das Evangelium glaubwürdig, mitreißend und inspirierend?

Simon Biallowons, Jahrgang 1984, ist studierter Philosoph und Absolvent der katholischen Journalistenschule ifp. Er arbeitete als Korrespondent in Rom, lebte im Nahen Osten und berichtete als Reporter für verschiedene Medien aus vielen Ländern. Biallowons ist Verfasser mehrerer Bestseller und derzeit Geschäftsführer und Cheflektor des Herder Verlages.
Sehen Sie im Kardinalskollegium kein Gesicht mit Star-Qualitäten? Wer sind Ihre Favoriten für den Stuhl Petri?
Es gibt einige Namen, die wiederholt fallen – doch echte Favoriten auszumachen, ist schwieriger denn je. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich folgende Persönlichkeiten nennen:
Pietro Parolin: Der Staatssekretär ist ein erfahrener Machtpolitiker. Er kennt die Strukturen der Kurie in- und auswendig und weiß, wie man auch in schwierigen Zeiten die Fäden zieht. Ein Papst Parolin wäre eine Wahl der Kontinuität und der Stabilität.
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Matteo Zuppi: Er bringt eine beeindruckende Mischung aus theologischer Tiefe, politischer Klugheit und Charisma mit. Als Erzbischof von Bologna und Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz hat er bewiesen, dass er sowohl Menschen erreichen als auch Brücken bauen kann. Besonders seine Rolle in Friedensmissionen, zuletzt in der Ukraine, macht ihn für viele zu einem Hoffnungsträger.