Immer mehr deutsche Landwirte sehen ihre Existenz durch die Glasflügelzikade bedroht. Bayer-Managerin Karin Guendel Gonzalez schlägt deshalb Alarm.
Warum Bayer seit Jahren keine neuen Wirkstoffe mehr auf den Markt bringt, weshalb sich Entscheidungen in Brüssel direkt auf deutsche Äcker auswirken und was sie von der neuen Bundesregierung erwartet, erklärt Karin Guendel Gonzalez, Chefin von Bayer CropScience Deutschland, der Pflanzenschutzsparte, im Gespräch mit t-online.
t-online: Frau Guendel Gonzalez, die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich seit einigen Jahren rasant aus. Warum haben Landwirte eigentlich keine wirksame Antwort darauf?
Guendel Gonzalez: Gute Frage. Um das zu erklären, muss ich etwas ausholen und auf die europäische Ebene schauen.
Bitte halten Sie sich kurz.
Ich versuche es. Wirkstoffe werden auf EU-Ebene genehmigt, während Produkte, die diese Wirkstoffe enthalten, in den Mitgliedstaaten zugelassen werden. Die Regulierung soll eigentlich ein Gleichgewicht schaffen: Sicherheit für Mensch, Tiere und Umwelt auf der einen Seite, und ausreichend Lösungen für landwirtschaftliche Probleme auf der anderen – Pilze, Unkräuter, Insekten. Dieses Gleichgewicht ist aus den Fugen geraten. An dieser Stelle muss man den Unterschied zwischen gefahren- und risikobasierter Bewertung erklären.
Man muss sich das so vorstellen: Eine Gefahr beschreibt erst einmal nur eine Eigenschaft. So birgt ein Flug grundsätzlich die Gefahr, dass etwas passieren könnte. Das sagt aber noch nichts darüber aus, wie wahrscheinlich etwa ein Absturz ist. Beim gefahrenbasierten Ansatz nimmt man allein diese mögliche Eigenschaft – also: „Es könnte gefährlich sein“ – und leitet daraus schon ab, dass man den Stoff nicht mehr zulässt.
Und beim risikobasierten Ansatz?
Dieser berücksichtigt zusätzlich, ob diese Gefahr unter realen Bedingungen überhaupt relevant wird. Beim Fliegen wäre das: Welche Sicherheitsmaßnahmen gibt es? Wie geschult ist der Pilot? Wie hoch ist die tatsächliche Absturzrate? Und genau so ist es bei Wirkstoffen. Manche der EU-Kriterien könnten heute risikobasiert beurteilt werden. Würde man das tun, könnten zahlreiche Wirkstoffe im Markt bleiben oder in den Markt kommen. Tatsächlich ist es aber so, dass seit 2019 kein einziger neuer chemisch-synthetischer Wirkstoff durchgekommen ist – nicht nur bei Bayer, sondern in der gesamten Branche. Gleichzeitig sind mehr als 80 Substanzen vom Markt verschwunden, und in den kommenden Jahren könnten weitere 40 Prozent der bestehenden Wirkstoffe ihre Zulassung verlieren.














