Ampelregierung und Union treffen sich heute erneut, um über Asylverschärfungen zu verhandeln. Doch die Zweifel an den Vorschlägen von Friedrich Merz sind groß.
In Teilen der Bundesregierung gibt es erhebliche Zweifel daran, dass sich Asylsuchende an den deutschen Grenzen so pauschal zurückweisen lassen, wie CDU-Chef Friedrich Merz sich das vorstellt. Aus grünen Regierungskreisen heißt es: „Nach der Prüfung des Bundesinnenministeriums ist klar, dass die Vorschläge von Friedrich Merz europarechtskonform eindeutig nicht machbar sind.“ Alle seien weiter angehalten, an „praktikablen, raschen und vernünftigen Lösungen zu arbeiten“.
Die Einschätzung stützt sich offensichtlich auf die Prüfung der Vorschläge des Bundesinnenministeriums, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Nachmittag in der Runde mit der Union vorstellen will. Ein Ausschnitt des Dokuments kursierte am Mittag in Berlin und liegt auch t-online vor. Dort wird der Weg, die pauschalen Zurückweisungen mit Verweis auf die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ zu begründen, als überaus heikel eingeschätzt.
Unter anderem heißt es dort: „Bisher hat kein MS (Anm. d. Red.: Mitgliedstaat) sich erfolgreich vor EuGH (Europäischen Gerichtshof) auf Art. 72 AEUV berufen.“ Gemeint ist damit ein Artikel aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, den Migrationsforscher wie Daniel Thym als möglichen Weg angeführt hatten.
Ein Rückgriff auf Artikel 72 sei nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur möglich, wenn das „einschlägige Sekundärrecht der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten im Bereich der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit nicht bereits gebührend Rechnung trägt“, heißt es in dem Papier weiter. Mit Blick auf den Schengener Grenzkodex, auf dessen Grundlage vorübergehende Binnengrenzkontrollen schon durchgeführt würden und Einreiseverweigerungen erfolgten, „hat der EuGH bereits einen Rückgriff auf Artikel 72 AEUV für unzulässig erachtet“.
Die Juristen aus dem Innenministerium folgern zudem, Deutschland „müsste konkret darlegen (Beweislast), dass der Tatbestand erfüllt ist und die Ausnahme erforderlich sowie verhältnismäßig ist“, wie es im Papier weiter heißt. Das bedeutet, dass die Maßnahmen für die in Artikel 72 angeführte „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ erforderlich und verhältnismäßig sein müssen.
Die Ansprüche daran sind den Experten zufolge hoch. Im Papier heißt es zwar, den Mitgliedstaaten komme dabei „zwar Beurteilungsspielraum zu“. Die „Anforderungen“ seien „jedoch eng und vom EuGH an unionsrechtlichen Maßstäben gerichtlich überprüfbar“.
Die juristischen Folgen für die Bundesrepublik könnten gravierend sein, führt das Papier schließlich aus. Der EuGH könnte die Maßnahmen demnach schon im Eilverfahren beenden. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik könnte die Folge sein oder eine Rüge eines deutschen Gerichts wegen Verstoßes gegen EU-Recht.
Vertreter der Bundesregierung, der Union sowie aus den Ländern hatten sich bereits in der vergangenen Woche zu einem Migrationsgipfel getroffen. Die Union hatte dabei zur Bedingung für ein weiteres Treffen und eine weitere Kooperation gemacht, dass Dublin-Geflüchtete – also Flüchtlinge, die über ein anderes EU-Land einreisen – in Zukunft an der Grenze abgewiesen werden sollen.
Nach den Dublin-Regeln sind diejenigen Länder für solche Flüchtlinge zuständig, über die sie eingereist und in denen sie registriert wurden. Ihre Zurückweisung an der Grenze gilt bisher aber als nicht oder sehr schwer mit geltendem Recht vereinbar. Berufen sie sich an der Grenze auf das Recht auf Asyl, prüft Deutschland ihren Rechtsanspruch.
Innenministerin Faeser hatte am Montag ab Mitte September Kontrollen an allen deutschen Grenzen angekündigt. Sie kündigte außerdem eine „massive Ausweitung von Zurückweisungen“ an. Weitere Informationen gab sie dazu nicht. Sie verwies auf das Treffen mit der Union an diesem Dienstag.