Die Linke profiliert sich im Kampf gegen hohe Mieten und teure Lebensmittel. Aber sie scheint auch den Zeitgeist zu treffen. „Mit ihrer antikapitalistischen Haltung kann die Linke punkten in einer Zeit, in der Leute wie US-Präsident Donald Trump das System in Verruf bringen“, sagt Politikwissenschaftler Michael Wehner von der Universität Freiburg. „Und es gibt ja reale große Unterschiede bei Einkommen und Vermögen in unserem Land.“
Zudem hat die Linke mit Fraktionschefin Reichinnek eine profilierte junge Frontfrau – während bei den vier Grünen an der Partei- und Fraktionsspitze keiner besonders heraussticht. „Starke Persönlichkeiten werden in der Politik ein immer wichtigerer Faktor“, sagt Wehner. „Heidi Reichinnek kann mit einem Coolness-Faktor punkten wie derzeit kein Grüner. Ihre idealistisch-populistischen Lösungen verfangen bei jungen Leuten.“ Die Linke zieht auch Scharen junger Leute als Mitglieder an – binnen weniger Monate hat sie sich auf rund 115.000 Menschen verdoppelt. Bei den Grünen steigt der Altersdurchschnitt.
Trotzdem bleibt die Frage nach der Perspektive. Die Grünen lassen keinen Zweifel: Sie wollen wieder wachsen und mitregieren. Die Linke äußert sich weniger klar, was sie mit ihrer neuen Stärke eigentlich anfangen will. „Wir gehen nur dann in eine Regierung, wenn wir für die Leute damit wirklich etwas verändern können“, sagt Schwerdtner. Aber mit wem wäre das möglich?
Die Union hält eine Zusammenarbeit mit der Linken immer noch für unvereinbar. Eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün wiederum ist nicht in Sicht angesichts der Schwäche von SPD und Grünen. „Unsere politische Aufgabe sollte sein, das Feld Mitte links zu vergrößern, eben im Verhältnis zum Feld von Mitte rechts“, findet Schwerdtner. „Und die Linke soll darin so stark wie möglich sein.“
Vorerst bleibt Linken und Grünen wohl nur, in der Opposition die Grenzen von Konkurrenz und Schnittmengen auszutesten. „Da, wo es gemeinsame Interessen gibt, können wir mit der Linken zusammenarbeiten“, sagt Grünen-Chef Banaszak. „Da, wo Blindflug herrscht, wie zum Beispiel bei der Ukraine, werde ich das benennen.“