Die Olympischen Spiele in Paris sind vorbei, das Scheinwerferlicht schwenkt um. Einige Sportler haben damit kein Problem, anderen stehen schwere Zeiten bevor.
Michael Phelps brauchte nur zwei Wochen in Athen, um sich für die Sportgeschichte unsterblich zu machen. Sechs Goldmedaillen gewann der US-Schwimmer bei den Olympischen Spielen 2004, knackte Weltrekorde und olympische Bestzeiten. Das renommierte Magazin „Sports Illustrated“ widmete dem „Medal Man“, dem Medaillenmann, ein Cover. TV-Sender luden ihn ein, wollten Interviews mit ihm. Die USA feierten ihren neuen Helden.
Millionen Menschen hätten wohl viel dafür gegeben, ihr Leben mit dem des damals 19 Jahre alten Ausnahmeschwimmers zu tauschen. Zu ihrer Überraschung wäre Phelps den Tausch wahrscheinlich eingegangen. Denn trotz all des Golds, der Rekorde und der Jubelstürme sah es im „Medaillenmann“ ganz anders aus. Phelps litt an „post-olympischer Depression“. „Ich habe eine Phase durchlebt, in der ich nicht mehr leben wollte“, gestand er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.
Das Ende der Olympischen Spiele traf ihn viel härter, als er es vorher gedacht hatte. „Wenn du von einem solchen Hoch kommst, dann stehst du an dem Rand der Klippe und fragst dich: ‚Cool, und was jetzt? Ich schätze, ich muss noch vier Jahre warten, um eine Chance zu haben, das wieder zu erreichen“‚, offenbarte Phelps erst nach seinem Karriereende beim US-Sender NBC.
Phelps hatte sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, bei den Olympischen Spielen Höchstleistungen abzurufen. Das Erlöschen des olympischen Feuers in Athen traf ihn knallhart. Ein tiefer Fall, der ihn komplett aus der Bahn warf. Es sollte ihn auch nach den Spielen in Peking 2008, in London 2012 und Rio de Janeiro 2016 treffen. Mit diesem Phänomen ist Phelps nicht allein. Viele Sportler berichten davon, dass sie nach Triumphen bei Olympischen Spielen in ein Loch fallen.
Katie Moon, Olympiasiegerin von Tokio (2021) im Stabhochsprung, berichtete im Juni dieses Jahres in einem Interview mit NBC: „Ich hatte das, was man als ‚post-olympische Depression‘ bezeichnet. Ich bin einfach in jeder Hinsicht abgestürzt.“ Erst mit psychologischer Hilfe kam sie aus dieser Situation heraus. In Paris gewann sie vergangene Woche Silber.
Anna Faghir Afghani weiß, was in Momenten wie diesen in Menschen wie Michael Phelps passiert. Faghir Afghani ist Sozialpsychologin und arbeitet seit vielen Jahren mit Sportlern und ihren Trainern zusammen. Für sie gibt es mehrere Ansätze, um das zu erklären, was einige Spitzenathleten nach Olympischen Spielen erleben.
Anna Faghir Afghani stammt aus Hamburg. Sie hat Sozialpsychologie studiert und ist Expertin auf dem Gebiet der Motivationsdiagnostik im Kontext Führung und High Performance. Sie arbeitet seit vielen Jahren mit Leistungs- und Profisportlern sowie ihren Trainern zusammen und bildet sie aus und weiter, Letzteres vertieft sie als Mitgründerin des Unternehmens „Eleven Heads“.
Zum einen sei da die evolutionsbiologische Erklärung. Der menschliche Körper ist bei Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen in einem „Überlebensmodus“, das Stresslevel ist hoch. „Das ist wahnsinnig anstrengend“, erklärt Faghir Afghani im Gespräch mit t-online und fügt an: „Wenn der Wettkampf vorbei ist, ruht sich der Körper aus und das Hormonlevel fällt ab. Im besten Fall zeigt sich das einfach nur durch so etwas wie Schlappheit, aber bei Hochleistungssportlern kann sich das auch extremer ausdrücken.“
Eine Situation, die auch auf Nichtsportler übertragbar ist. Manager, die nach 80-Stunden-Wochen im Urlaub krank werden, Projektleiterinnen, die nach der finalen Abgabe keine Energie mehr haben, Verkäufer, die nach dem Weihnachtsgeschäft an Fieber leiden. Drei Fälle aus dem Alltag, die auf ähnlichen Mechanismen basieren.
Für das Phänomen, mit dem Athleten wie Michael Phelps und Katie Moon zu kämpfen hatten, hat Anna Faghir Afghani aber noch einen zweiten Erklärungsansatz. Der liegt in der Motivation der Olympioniken, den Faktoren, die sie zu ihren Höchstleistungen antreiben. „Habe ich das starke Bedürfnis nach Anerkennung? Ist mir Status sehr wichtig? Strebe ich permanent nach Sicherheit? Dann bin ich viel anfälliger dafür, danach in ein solches Loch zu fallen“, erklärt sie. Diesen motivationalen Antrieb, wie es die Expertin nennt, erlebt sie bei vielen Sportlern. Es ist ein Perfektionismus, der Goldmedaillen einbringen kann, aber eben auch seine Schattenseite hat.