Stand: 02.02.2023 04:22 Uhr
Vor dem Treffen der EU-Kommission mit der ukrainischen Regierung macht ob der Beitrittsbestrebungen Kiews in Brüssel derzeit vor allem ein Wort die Runde: Erwartungsmanagement.
Aus einigen Hauptstädten der EU kommen schon Warnungen nach Brüssel, dass beim Kommissionsbesuch in Kiew bitte nicht zu hohe Erwartungen geweckt werden sollen, die dann später enttäuscht werden müssen.
Die Warnungen haben einen Grund: Brüsseler Spitzen haben sich zuletzt einen regelrechten Überbietungswettbewerb geliefert, mit Versprechungen für eine – mehr oder weniger nahe – europäische Zukunft der Ukraine. Zuletzt war es Ratspräsident Charles Michel, als er vor zwei Wochen nach Kiew reiste und vor dem ukrainischen Parlament so konkret vom EU-Beitritt sprach, wie kaum einer zuvor:
Wir haben der Ukraine den Kandidatenstatus ja schon verliehen. Das heißt: die Frage der Mitgliedschaft ist beantwortet. Die Ukraine ist die EU, und die EU ist die Ukraine. Und wir müssen alles tun, damit dieses Versprechen eingelöst wird.
Brüsseler “Erwartungsmanagement”
Den begeisterten ukrainischen Abgeordneten versprach der EU-Ratspräsident zwar keinen konkreten Termin. Aber vom Regierungschef in Kiew, Ministerpräsident Denis Schmyhl, hieß es danach, sein Land, die Ukraine, wolle innerhalb der nächsten zwei Jahre schon beitreten. Zwei Jahre bis zur EU-Mitgliedschaft der Ukraine – das gilt in Brüssel als völlig unrealistisch. Weshalb jetzt das Wort vom Erwartungsmanagement die Runde macht.
Die Kiewer Reise der Kommissare und Chefin Ursula von der Leyen diene eigentlich eher dem gegenseitigen Kennenlernen, so heißt es aus der Kommission. Ganz ähnlich wie in einer gemeinsamen Kabinettssitzung sollen die Fachkommissare mit ihren Pendants, den ukrainischen Fachministern, sich über die gemeinsamen Themen beugen. Ein Thema ist die finanzielle Hilfe in Milliardenhöhe.
Von der Leyen: “Unsere Unterstützung ist unerschütterlich”
“Die Kommission gibt drei Milliarden Euro frei”, kündigte die Kommissionschefin beim Wirtschaftsforum in Davos an, und versprach: das sei nur die erste Tranche von insgesamt 18 Milliarden, die in diesem Jahr aus den EU-Kassen in die Ukraine fließen sollen. “Die größte Finanzhilfe, die die EU je einem Drittland gegeben hat.”
Mit dem Geld kann die ukrainische Regierung die laufenden Kosten decken. Gehälter bezahlen für Lehrer, Polizisten und Sicherheitskräfte. “Wir werden nicht nachlassen, unsere Unterstützung ist unerschütterlich”, sagte Ursula von der Leyen in Davos, “für die Wiederherstellung der Stromversorgung, bei der Heizung, bei Wasser und bei der Vorbereitung für den Wiederaufbau.”
Korruptionsskandal legt Bedenken offen
Je mehr Milliarden in Richtung Ukraine zugesagt werden und auch fließen, desto mehr wird in Brüssel die Frage gestellt, ob das Geld auch da ankommt, wo es ankommen soll. Der jüngste Korruptionsskandal hat neue Zweifel genährt – und alte Zweifel bestätigt. Vor allem in Paris. Frankreichs Präsident Macron hatte schon vor Monaten gesagt, der Beitrittsprozess der Ukraine werde nicht Jahre erfordern, sondern Jahrzehnte.
Ursula von der Leyen wird dagegen nicht müde zu betonen, welchen Weg das Land schon in kurzer Zeit zurückgelegt hat in Richtung Mitgliedschaft. Eine konkrete Jahreszahl nennt sie nicht. Es kommt eben darauf an, wann das Land die Beitrittskriterien erfüllt hat. Der ganze Prozess beruht auf Bedingungen. Wenn die nicht erfüllt sind, helfen auch keine vorher definierten Jahreszahlen.
Wie weit die Ukraine inzwischen gekommen ist, darüber wird der Besuch aus Brüssel wohl einige offene Worte mit den Vertretern der ukrainischen Regierung austauschen.