Die Präsidenten Deutschlands und der Ukraine haben zur raschen Bildung von bilateralen Städtepartnerschaften aufgerufen, um ukrainischen Kommunen über den Winter zu helfen. Bei einem Besuch in Kiew traf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj, nachdem es im Frühjahr ein diplomatisches Zerwürfnis zwischen ihnen gegeben hatte.
Selenskyj dankte Deutschland für die Unterstützung seines von Russland angegriffenen Landes. Damit trage die Bundesrepublik zum Frieden in der Ukraine bei. Dies sei „groß und historisch wichtig“, sagte er.
Selenskyj erwähnte insbesondere die Lieferung des Flugabwehrsystems Iris-T aus Deutschland. Er hoffe, dass davon weitere Systeme kommen werden. Dies habe für sein Land „wirklich Priorität“. Selenskyj würdigte auch die Bereitschaft Deutschlands, die Energie-Resilienz der Ukraine zu stärken. Große Teile der Strom- und Fernwärme-Netze sind durch russische Raketenangriffe beschädigt worden.
Steinmeier sicherte Selenskyj die baldige Lieferung bereits zugesagter Waffensysteme zu. Weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II und zusätzlich vier Panzerhaubitzen 2000 würden „zeitnah in den nächsten Tagen an die Ukraine übergeben“, so Steinmeier.
Der Bundespräsident betonte, er habe gerade angesichts der „niederträchtigen Angriffe“ Russlands in die Ukraine kommen wollen. Er versicherte den Ukrainern: „Wir sind auf eurer Seite. Wir unterstützen euch. Wir werden euch weiter unterstützen.“ Dies gelte wirtschaftlich, politisch und auch militärisch und zwar so lange, wie es notwendig sei. Er bewundere die Menschen in der Ukraine „für den Mut, für die Unbeugsamkeit, für die Tapferkeit“ angesichts des russischen Angriffskrieges.
Steinmeier und Selenskyj sagten, sie wollten die Schirmherrschaft über ein deutsch-ukrainisches Städtepartnerschaftswerk übernehmen. „Kommunale Partnerschaften bieten eine Grundlage für gelebte Solidarität im Angesicht des Krieges; sie legen das Fundament für eine gemeinsame Zukunft“, hieß es in einer Mitteilung. „Sie senden ein klares Signal an Moskau: Euer Krieg wird uns nicht spalten – er wird uns noch näher zusammenbringen, als Deutsche, Ukrainer und als Europäer.“
Handschlag der Staatspräsidenten: Steinmeier und Selenskyj bei der Pressekonferenz
Quelle: dpa/Michael Kappeler
Derzeit gibt es mehr als 100 Städtepartnerschaften mit der Ukraine, die aber unterschiedlich stark gepflegt werden. 34 wurden nach Beginn des Krieges neu geknüpft. In den vergangenen Tagen hat Russland wiederholt mit Raketen und Drohnen die Infrastruktur der Ukraine angegriffen und Strom- und Wärmeversorgung beschädigt. Auch Kiew wurde attackiert. Bürgermeister Vitali Klitschko zeigte Steinmeier ein zerstörtes Wohnhaus. Vielen Ukrainerinnen und Ukrainern droht ein eisiger, dunkler Winter, wenn die Infrastruktur nicht repariert wird.
Luftalarm bei Steinmeier-Besuch in Korjukiwka
Bei seinem Besuch in der Ukraine bekam Steinmeier auch einen kleinen Eindruck, was der Krieg in dem Land für die Menschen bedeutet. Unmittelbar nach seiner Ankunft in der Kleinstadt Korjukiwka nordöstlich von Kiew wurde dort Luftalarm ausgelöst. Steinmeier, Bürgermeister Ratan Achmedow und eine Gruppe von Bürgern gingen daraufhin in einen Luftschutzkeller.
Dort ließ sich der Bundespräsident von den Menschen berichten, wie sie den russischen Angriffskrieg erleben. Eine Frau erzählte unter Tränen vom Kriegsbeginn am 24. Februar, eine andere von ihrem Mann, der gegen die russische Armee kämpft. „Mein Mann ist an der Front, an der heißesten Front“, sagte sie.
„Wir haben die ersten eineinhalb Stunden im Luftschutzkeller verbracht“, sagte Steinmeier anschließend. „Das hat uns besonders eindrücklich nahe gebracht, unter welchen Bedingungen die Menschen hier leben.“ Es sei eine Situation gewesen, die man bei dem Besuch nicht habe ausschließen können. Die Menschen dort müssten mit dieser Situation jeden Tag leben. „Das Gespräch gerade dort zu führen war besonders eindrücklich. Und ich glaube, das ging nicht nur mir so.“
Während Frank-Walter Steinmeier im Luftschutzbunker wartete, sprach er mit den Bewohnern der Stadt
Quelle: dpa/Michael Kappeler
Steinmeier war am Dienstagmorgen zu einem überraschenden Besuch in der Ukraine per Zug eingetroffen. „Ich bin sehr froh, heute in der Ukraine zu sein. Seit acht Monaten führt Russland einen brutalen und rechtswidrigen Angriffskrieg. Mir ist es wichtig, gerade jetzt, in der Phase der niederträchtigen russischen Luftangriffe im ganzen Land, ein Zeichen der Solidarität an die Ukrainerinnen und Ukrainer zu senden“, so Steinmeier laut Pressemitteilung.
Steinmeiers dritter Anlauf
Es ist bereits der dritte Anlauf des Bundespräsidenten für eine Reise dorthin. In der vergangenen Woche war diese aus Sicherheitsgründen kurzfristig verschoben worden. Das für seinen Schutz zuständige Bundeskriminalamt (BKA) schrieb auf Twitter, es habe „angesichts der aktuellen Gefahrenlage empfohlen, die geplante Reise des Bundespräsidenten Steinmeier in die Ukraine zu verschieben“.
In den Tagen davor hatte Russland wiederholt mit Raketen und Drohnen die Infrastruktur der Ukraine angegriffen und die Strom- und Wärmeversorgung schwer beschädigt. Auch die Hauptstadt Kiew wurde attackiert.
Steinmeier hält sich zu einem eintägigen Besuch in der Ukraine auf und will sich vor Ort ein Bild von der Zerstörung durch den Angriffskrieg Russlands machen
Quelle: dpa/Michael Kappeler
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sitzt im Zug von Przemysl nach Kiew im Salonwagen und arbeitet in seinen Unterlagen
Quelle: dpa/Michael Kappeler
Eigentlich wollte Steinmeier bereits Mitte April nach Kiew reisen – zusammen mit den Staatspräsidenten Polens, Lettlands, Litauens und Estlands. Die Initiative hierfür war von Polens Präsident Andrzej Duda ausgegangen. Unmittelbar vor dem Start kam aus Kiew aber eine Absage für Steinmeier. Die Ausladung wurde in Berlin als beispielloser diplomatischer und politischer Affront gewertet. Erst ein Telefongespräch beider Präsidenten Anfang Mai entspannte die Lage wieder.
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