Ein Mann steuert ein Auto über einen Magdeburger Weihnachtsmarkt. Mehrere Personen sterben. Auf dem Berliner Breitscheidplatz werden schreckliche Erinnerungen an die Toten und Verletzten des Terroranschlags 2016 wieder wach.
Kaum auf ihre Gefühle angesprochen, bekommt Leonie glasige Augen. Kurz danach rinnen ihr dicke Tränen über die Wangen. Gerade hat die junge Berlinerin kurz am Mahnmal für die Toten des Terroranschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz innegehalten. Genau an diesem Ort hatte am 19. Dezember 2016 der Terrorist Anis Amri einen Lkw in die feiernde Menschenmenge gesteuert und 13 Menschen brutal aus dem Leben gerissen.
Am frühen Samstagnachmittag macht Leonie nach eigenen Angaben rund um den Breitscheidplatz Weihnachtseinkäufe – am Tag, nachdem ein Mann auch auf einem Magdeburger Weihnachtsmarkt mehrere Menschen mit einem Fahrzeug getötet hat. Erst auf dem Weg hierher habe sie vom Anschlag in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt erfahren, sagt sie mit tränenerstickter Stimme. „Es ist krass, dass so etwas noch passiert.“ Und die junge Frau ist nicht die einzige am Breitscheidplatz, die tief bewegt ist nach den Geschehnissen.
Die Verkäuferin für Textilien spricht von „Angst“, die sie empfinde, wenn sie an die Nachrichten aus Magdeburg denkt. Die Frau möchte lieber anonym bleiben. Schon beim Anschlag auf den Breitscheidplatz sei sie mit ihrem Stand voller warmer Mützen, Schals und Socken hier gewesen. Von der Auto-Attacke in Magdeburg habe ihr Vater ihr am Telefon berichtet. Sie selbst sei am Abend nicht im Dienst gewesen. „Aber meine Tochter war hier“, sagt sie. Sie habe sofort zum Telefon gegriffen. Man merkt ihr an: Sie ist erschüttert. Doch zur Erschütterung kommt Wut.
Denn auch das Gedenken an die Opfer von Anis Amri in der benachbarten Gedächtniskirche würde sie belasten. „Das nimmt uns mit. Warum müssen wir uns immer wieder psychisch kaputtmachen?“ Die Verkäuferin wünsche sich ein Gedenken an einem anderen Ort – zumal die Stimmung in diesem Jahr gedämpfter sei als sonst.
Ein junger Mann, der an einem Stand Spirituosen verkauft, sieht das anders. Auch er möchte seinen Namen nicht nennen. Ein Foto – bitte nicht! Er habe ein mulmiges Gefühl, sich zu zeigen. Die Stimmung sei nur an diesem vierten Adventswochenende des Jahres andächtiger. In den Wochen zuvor sei es gewesen wie sonst auch. Auffällig findet er nach eigenen Worten nur: Es sind am Samstag hauptsächlich Touristen auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz unterwegs. Touristen wie Sarah und Debbie aus dem nordirischen Belfast.
Das britische Duo sagt, es sei extra für die Berliner Weihnachtsmärkte in die Hauptstadt gekommen. Nach einer Tour durch die Berliner Kneipen am Freitagabend hätten am Samstag besorgte Freunde und Verwandte angerufen. Erst dadurch sei ihnen klar geworden, was zuvor in Magdeburg passiert ist, sagen Sarah und Debbie. Die Laune wollen sie sich aber auch von Sicherheitspollern und Straßensperren nicht verderben lassen.
Denn Unruhen, sagen sie, kennen sie vom Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten in ihrer Heimat: „Wir sind inmitten von Unruhen aufgewachsen“, sagt Debbie, nimmt ihren Eierpunsch und stößt mit Sarah auf friedliche Weihnachten an.