Die Sozialdemokraten des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz erlitten bei einer bundesweiten Wahl ihr schlechtestes Ergebnis seit über einem Jahrhundert, was erneut Fragen über die Stabilität der Regierung aufwirft.

Die regierende Koalitionsregierung in Deutschland musste im Zuge der gestrigen Wahl einen Rückschlag hinnehmen: Die sozialdemokratische Partei der deutschen Kanzlerin, die SPD, landete hinter der umstrittenen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD), die 15,9 Prozent der Stimmen erhielt, auf dem dritten Platz.

Seine Koalitionspartner schnitten kaum besser ab: Die liberale Freie Demokratische Partei (FDP) erhielt knapp über 5 % der Stimmen. Die Grünen mussten erhebliche Verluste hinnehmen und verloren im Vergleich zur letzten Wahl 2019 neun Sitze, als sie 11,9 % der Stimmen erhielten.

Die Mitte-Rechts-Partei der Christdemokraten ging mit 30 Prozent der Stimmen klar in Führung und entsandte 29 der 96 Abgeordneten ins Europaparlament, die Deutschland zustehen.

In Deutschland finden erst im Jahr 2025 Parlamentswahlen statt. Allerdings herrscht in der Regierung über wichtige Themen wie den Krieg in der Ukraine, den deutschen Haushalt und die grüne Wende hartnäckige Uneinigkeit.

„Die Koalitionspartner sind in den Kernfragen sehr unterschiedlich und gegensätzlich. In Umfragen und bei den Regionalwahlen haben sie Wähler verloren, was die internen Machtkämpfe verschärft hat“, sagte Michael Seufert, Umfrageanalyst, gegenüber Euronews.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert räumte in der ARD das schwache Abschneiden seiner Partei ein und sagte: „Das ist heute eine harte Niederlage für uns. Wir müssen die Fehler bei uns selbst suchen.“

Scholz, dessen Gesicht neben der SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley auf Plakaten in ganz Deutschland prangte, hat seine Unbeliebtheit in Umfragen scheinbar bestätigt. Im Januar 2024 lag Scholz‘ Zustimmungswert laut einer Umfrage durchgeführt von Statista.

Desaster für die Grünen

Nicht nur die SPD musste an diesem Abend große Verluste einstecken, auch die Grünen erging es ähnlich: Sie verloren 8,6 Prozentpunkte mehr als 2019.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir räumte in einem Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin ein, die Grünen hätten bei der Wählerschaft „das Vertrauen verloren“.

„Die Grünen werden nicht als die Partei wahrgenommen, die gute Antworten hat, die die Sorgen der Menschen ernst genug nimmt“, sagte Özdemir.

Boyd Wagner, Meinungsumfragen-Analyst bei Euronews, sagte: „Die Grünen sind wohl der größte Unterstützer der Ukraine in Deutschland. Das macht sie anfällig für eine Haltung ‚Friedensfeindlichkeit‘ – kein typischer Ort für eine liberale, grüne Partei.“

„Die Wähler sind auch verärgert, weil sie sich auf diese Themen konzentrieren und nicht genug für die grünen Themen in Deutschland tun. Andere Wähler aus dem Mitte-Rechts-Bereich wiederum halten grüne Themen für unwichtig oder meinen, die in Brüssel verabschiedeten grünen Gesetze hätten sich nachteilig auf das Wirtschaftswachstum ausgewirkt – siehe die Bauernproteste“, kommentiert Wagner.

In ganz Brüssel nahm die Unterstützung für die grünen Parteien ab; die Grünen/Freie Europäische Allianz (EFA) verloren 20 ihrer insgesamt 72 Sitze.

Die Jugendwählerschaft und die AfD

Eine Analyse des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ZDF legt nahe, dass der Rückhalt für die Rechte unter jungen Deutschen groß ist: Schätzungsweise 17 Prozent der Wähler zwischen 16 und 24 Jahren gaben der rechtsradikalen AfD ihre Stimme, während weitere 17 Prozent die konservative CDU/CSU unterstützten.

Dieser Trend steht offenbar im Widerspruch zur Tradition, da die Grünen traditionell auf eine starke Wählerschaft unter der Jugend setzen.

Laut Kilian Hampel, Co-Autor der Studie „Jugend in Deutschland“, sei die AfD für junge Menschen eine Möglichkeit, ihrer Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Regierung und ihrer persönlichen Situation Ausdruck zu verleihen.

Auch die sozialen Medien und TikTok, wo die AfD Tausende von Followern hat, spielen eine Rolle. „Die AfD hat über die sozialen Medien junge Menschen mit politischen Inhalten vertraut gemacht, die sich sonst im Internet bei den traditionellen Parteien nicht sicher und nicht gehört fühlen.“

Andere wiederum behaupten, die AfD sei eine Protestwahl derjenigen, die mit der gegenwärtigen Regierung unzufrieden seien.

Antonios Souris, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, sagte gegenüber Euronews: „Es gibt eine gewisse Anzahl von Menschen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugungen für eine rechte Partei stimmen. Es gibt jedoch auch eine andere Gruppe, die aus Protest wählt.“

„Wenn man sich die Koalition auf nationaler Ebene ansieht, aber auch die Koalitionen auf subnationaler Ebene, ist die AfD im Grunde die einzige Partei, die nicht regiert. Wenn man also die Regierung bestrafen will, denken viele Leute vielleicht, sie sollten die AfD wählen, um Gehör zu finden“, sagte Souris.

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