Wenn politische Entscheidungen die Aktienmärkte durchrütteln, sprechen Börsianer von „politischen Börsen“. Doch was, wenn aus kurzfristigen Turbulenzen langfristige Risiken für Ihr Depot werden?
Kaum ein Börsenspruch ist so bekannt wie: „Politische Börsen haben kurze Beine.“ Dahintersteckt die Hoffnung, dass Krisen, Kriege oder Konflikte zwar kurzfristig für Kursrückgänge sorgen – doch die Märkte sich rasch wieder erholen. Für viele Anleger sind geopolitische Schlagzeilen daher vor allem eines: Kaufgelegenheiten.
Doch wie belastbar ist diese These? Sind Kursrücksetzer, wie jener am „Liberation Day“, dem Tag, an dem Donald Trump im Rosengarten des Weißen Hauses Zölle gegen rund 60 Länder ausrief, tatsächlich eine Einladung, mit vollem Risiko in den Aktienmarkt einzusteigen?
Von „politischen Börsen“ sprechen Experten, wenn politische Ereignisse zum dominierenden Treiber an den Finanzmärkten werden. Gemeint sind Phasen, in denen Wahlen, Gesetzesänderungen, Handelskonflikte oder geopolitische Krisen Kursbewegungen stärker beeinflussen als Wirtschaftsdaten oder Unternehmensgewinne. In solchen Zeiten reagieren Anleger oft empfindlich auf politische Schlagzeilen – und das kann binnen Stunden Milliarden an Börsenwert vernichten.
Diese Reaktionen sind meist kurzfristig. Doch je nach Schwere und Dauer der politischen Unsicherheit kann sich aus der vorübergehenden Nervosität eine ausgewachsene Vertrauenskrise entwickeln – mit realwirtschaftlichen Folgen.
Dass politische Ereignisse die Märkte kräftig durchrütteln können, zeigen drei besonders eindrückliche Beispiele der jüngeren Börsengeschichte:
- April 2025 – „Liberation Day“ in den USA: US-Präsident Donald Trump verkündet überraschend massive Zölle auf Importe aus rund 60 Ländern – mit Sätzen von bis zu 50 Prozent. Die Märkte reagieren panisch: Der Nikkei in Tokio verliert knapp 7 Prozent, der Hang Seng in Hongkong bricht um über 10 Prozent ein und der Dax fällt binnen einer Woche um mehr als 8 Prozent. Es ist der stärkste Wochenverlust seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs.
- Herbst 2023 – US-Schuldenstreit: Ein politisches Patt im US-Kongress um die Anhebung der Schuldenobergrenze schürt die Angst vor einem Zahlungsausfall der Vereinigten Staaten. Die Börsen reagieren mit heftigen Verlusten. Die Unsicherheit über die Zahlungsfähigkeit der weltgrößten Volkswirtschaft bremst weltweit die Risikobereitschaft.
- Frühjahr 2022 – Angriff auf die Ukraine: Der russische Einmarsch in die Ukraine löst eine massive Flucht aus Risikoanlagen aus. Internationale Aktienindizes verlieren innerhalb weniger Tage mehrere Prozentpunkte. Die Volatilität steigt sprunghaft, Anleger parken ihr Kapital in sicheren Häfen.
Wie stark politische Unsicherheiten die Märkte beeinflussen, hat Kapitalmarktanalyst Pascal Kielkopf von HQ Trust untersucht. Er stützt sich auf den Economic Policy Uncertainty Index (EPU), der politische Unsicherheit in den USA seit 1950 anhand von Medienberichten, Steuerrecht und Prognosen misst.
Kielkopf hat alle Phasen identifiziert, in denen der EPU-Index besonders stark ausschlug – etwa während der Finanzkrise, des Brexits oder der Corona-Pandemie – und sie mit der Kursentwicklung des US-Aktienindex S&P 500 verglichen.
Seine Analyse zeigt: In 17 von 18 dieser Krisenzeiten ist der S&P 500 gefallen – im Schnitt um 9,2 Prozent. Nur im Jahr 1998, während der Russlandkrise, konnte sich der Index dem allgemeinen Abwärtstrend widersetzen.
„Kurzfristig reagieren die Börsen durchaus auf erhöhte Unsicherheiten“, erklärt Kielkopf. Besonders tiefe Rückgänge verzeichnete der Markt in den Jahren 1987, 2008 und 2020 – ausgelöst durch den Schwarzen Montag, die globale Finanzkrise und den Ausbruch der Corona-Pandemie.
Doch die Erholung setzte meist schnell ein. Drei Monate nach dem jeweiligen Einbruch lagen die Kurse im Schnitt bereits wieder 14 Prozent höher. Laut Kielkopf hatten politische Börsen in der Vergangenheit tatsächlich „meist kurze Beine“. Besonders deutliche Rebounds, also eine kräftige Erholung der Kurse, gab es in den Jahren 1991, 1998 und 2020.
Allerdings gilt auch hier: keine Regel ohne Ausnahme. In den Jahren 2000 und 2008 etwa hielten Unsicherheit und Kursdruck auch drei Monate später noch an. Damit zeigt sich: Politische Börsen folgen zwar oft einem klaren Muster – aber sie bleiben unberechenbar.
Ob ein Aktienkurs steigt oder fällt, hängt von weit mehr ab als nur von politischen Unsicherheiten und Schlagzeilen. Entscheidend sind vor allem Fundamentaldaten, also harte Fakten wie Unternehmensgewinne, Cashflows, Dividenden, Zinssätze oder das allgemeine Wirtschaftswachstum. Wer ein Unternehmen bewertet, schaut in der Regel darauf, wie profitabel es wirtschaftet, wie stabil die Bilanz ist – und ob das Geschäftsmodell Zukunft hat.
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Hinzu kommen Marktfaktoren wie Angebot und Nachfrage, die Stimmung der Anleger sowie technische Aspekte wie Trendverläufe und Entwicklung der Wechselkurse. In einem Umfeld steigender Zinsen etwa sinkt häufig die Bewertung von Aktien, weil alternative Anlagen wieder attraktiver werden. Umgekehrt beflügeln Zinssenkungen die Märkte, da sie Kapital billiger machen und zukünftige Gewinne höher gewichtet werden.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Psychologie der Märkte. Die Stimmung kann Kurse in kurzer Zeit stark bewegen – unabhängig von realwirtschaftlichen Entwicklungen. Erwartet der Markt, dass ein Unternehmen gut durch eine Krise kommt, steigen die Kurse oft schon, bevor harte Zahlen das belegen.
Kurzum: Zölle, Sanktionen oder Haushaltskrisen mögen auf den ersten Blick wie politische Manöver wirken – sollten sie jedoch nicht schnell aufgelöst werden, könnten sie handfeste wirtschaftliche Veränderungen anstoßen. So geschehen in der Folge von Trumps „Liberation Day“, was exemplarisch zeigt, wie aus politischer Rhetorik reale Marktrisiken werden.
Trumps Zölle lösten nicht nur kurzfristige Kursverluste aus, sondern könnten laut Forschern der Penn Wharton School der Universität Pennsylvania das US-Bruttoinlandsprodukt bis 2054 um 6 Prozent schrumpfen lassen. Gleichzeitig drohen laut eines der führenden sozialliberalen Think Tanks der USA American Progress Kaufkraftverluste von bis zu 3.800 Dollar pro Jahr für Haushalte mit mittlerem Einkommen – durch teurere Kleidung, Elektronik und Lebensmittel.