Die Lava ist weg, der Erdriss und der Schaden bleiben. In der isländischen Hafenstadt Grindavík bleibt die Lage angespannt, berichtet die deutsche Autorin Anne Siegel.
t-online: Frau Siegel, wie ist die aktuelle Lage in Island?
Anne Siegel: Die Leute halten gerade regelrecht die Luft an. Bei aller Dramatik – es ist noch mal gut gegangen, weil der Erdriss des aktuellen Vulkans am Rand des Ortes zum Erliegen kam und nicht weiter in Richtung des Städtchens wanderte. Es sind daher „nur“ drei Häuser, aber keine Menschenleben in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Leute waren gerade erst in die kleine Fischerstadt zurückgekehrt.
Trotzdem sind sie daran gewöhnt, schnell evakuiert zu werden. Das ging in der Nacht des Ereignisses ziemlich schnell, sodass niemand zu Schaden gekommen ist. Ein paar Tage vorher ereignete sich aber ein sehr tragisches Unglück. Ein Arbeiter war in eine Erdspalte gefallen. Diese wollten sie verdichten. Sie haben zwei Tage lang nach ihm gesucht, haben ihn aber nicht mehr gefunden. Auch das war ein tragisches Ereignis.
Sie sprechen die Evakuierung an. Man bekommt den Eindruck, dass die Isländer gut auf solche Ereignisse vorbereitet sind. Wie erklären Sie sich das?
Island ist ein Land, dessen Menschen an Naturereignisse gewöhnt sind. Es ist wirklich so – alles ist immer ein bisschen drastischer dort. Leider. Gerade auch durch die Klimakrise. Zum Beispiel sind die Stürme extremer geworden. Ich selbst habe vor einem Jahr im äußersten Norden Islands überwintert, im kältesten Winter seit 100 Jahren. Da ereigneten sich Stürme, die man hier in Deutschland überhaupt nicht kennt. Eine isländische Freundin sagte zu mir den schönen Satz: „Du weißt ja, Isländer laufen immer zur Höchstform auf, wenn solche Hindernisse im Weg sind.“ Das ist tatsächlich auch meine Erfahrung. Man ist daran gewöhnt, in der Gemeinschaft auch gegen solche Naturereignisse zu bestehen. Es wird immer sofort eine Lösung gesucht. Die Evakuierung Grindavíks ging so schnell vonstatten, weil die Einwohner das vor einem Monat leider schon geübt hatten, als sie ihren Wohnort bereits verlassen mussten.
Außerdem spielt der Zivilschutz in Island eine ganz große Rolle. Der ist extrem gut ausgestattet und vorbereitet. Mehr als 1.000 Helferinnen und Helfer aus dem ganzen Land waren dafür schon vor Wochen nach Grindavík gekommen.
Zur Person
Anne Siegel war als Journalistin und Filmemacherin für internationale öffentlich-rechtliche Medienhäuser an vielen Orten der Welt tätig. Sie arbeitete als Korrespondentin in den palästinensischen Autonomiegebieten und in San Francisco. Später unterrichtete sie Film in Panama City. Mittlerweile ist sie als Buchautorin aktiv und lebt in Köln und Reykjavík. Ihr aktuelles Buch „Wo die wilden Frauen wohnen“ (Malik Verlag) beschäftigt sich mit Islands Geschlechtergerechtigkeit und dem Leben in der Natur.
Haben Sie selbst einen Vulkanausbruch oder ähnliche Wetterereignisse vor Ort miterlebt?
Ja, das ist tatsächlich mein vierter drastischer Vulkanausbruch, den ich erlebe. Zwei Tage bevor dieser neue Vulkan eine neue Erdspalte aufriss, hatte die Erde 600-mal an einem Morgen gewackelt. Ich lebe ja halb in Island, da gehören solche Vulkanausbrüche dazu. Dazu muss man wissen: Es gibt 30 aktive Vulkane in Island. Es bricht also immer mal einer aus. Diesmal ist es aber schon eine sehr drastische Geschichte. Das aktiv gewordene Vulkansystem auf Reykjanes hatte sich 800 Jahre lang nicht gerührt. Betroffen ist hier auch ein Kraftwerk, das rund 30.000 Menschen auf der Halbinsel dort im Süden versorgt.
Sind die Menschen und das Kraftwerk in Gefahr?
Das Kraftwerk war in Gefahr, heißt es, und man weiß jetzt nicht, wie es weitergeht. Führende Vulkanologen sagen, dass dieses Vulkansystem wachgerüttelt wurde und dass es mit Sicherheit die nächsten Jahre immer mal zu solchen kleinen Ausbrüchen kommen kann. Aber auch dieser kleine Ausbruch ist drastisch, weil er nicht im Nirgendwo passiert ist. Hier hat man es versäumt, beim Ausbau der Stadt Grindavík zu verstehen, dass unter dem Ort diese Erdspalte verläuft. Erst im Nachhinein fiel dieser Riss auf einer alten Militärkarte von 1953 auf.