Aufregung in England: Presse und Fans schießen gegen den deutschen Schiedsrichter, der das EM-Halbfinale pfeift. Grund ist dessen Vergangenheit. Die hat es in der Tat in sich.

Felix Zwayer macht seinen Job bislang hervorragend bei dieser Europameisterschaft. Deswegen betraute ihn die Uefa mit der Leitung des EM-Halbfinales zwischen England und den Niederlanden. Zwayer gilt als einer der besten Unparteiischen auf internationalem Parkett.

Dennoch ist die Empörung in England groß. Von einem „Schiri-Alptraum“ schreibt die „Sun“ und die „Daily Mail“ titelt: „Enthüllt: Englands Halbfinalschiedsrichter ist ein verurteilter Spielmanipulator“.

Was der englische Boulevard eine „Enthüllung“ nennt, ist hierzulande seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt. Dennoch entbrennt vor dem Halbfinale der Engländer gegen die Niederlande (Mittwoch, 21 Uhr, Signal Iduna Park Dortmund) auf der Insel eine Diskussion über die Ansetzung des Unparteiischen. Das Boulevardblatt zitiert Fans, denen die Nominierung Zwayers reichlich seltsam erscheint. Was sich denn die Uefa dabei nur gedacht habe, fragen sich einige Anhänger der „Three Lions“ auf der Insel.

Und auch Englands Superstar Jude Bellingham wird als Kronzeuge für die Skepsis gegenüber dem 43-jährigen Berliner angeführt. Schließlich hatte Bellingham scharf gegen Zwayer geschossen, nachdem der das Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga in der Hinrunde der Saison 2021/22 gepfiffen hatte, das Dortmund mit 2:3 gegen den FC Bayern München verlor. Bellingham spielte damals für den BVB und war ob der Niederlage bitter enttäuscht.

Nach dem Spiel fragte er, wie es denn möglich sei, dass ein Referee, der einmal in einen Manipulationsskandal verwickelt gewesen ist, so ein bedeutendes Spiel pfeifen könne. „Was will man da erwarten?“, so der 18-Jährige. Für seine scharfe Kritik wurde Bellingham mit einer Geldstrafe belegt.

Tatsächlich war Zwayer in einen der größten deutschen Sportskandale verwickelt. Als 2004 die Spielmanipulationen Robert Hoyzers aufflogen, wurde auch gegen Zwayer ermittelt. Hoyzer hatte gemeinsame Sache mit der kroatischen Wettmafia gemacht und Spiele manipuliert. Zwayer wusste davon, meldete das Fehlverhalten seines Kollegen aber zunächst nicht. Auch soll er bei einem Spiel Geld von Hoyzer genommen haben. Absichtliche Fehlentscheidungen in dem fraglichen Spiel konnten ihm aber nicht nachgewiesen werden. 2006 wurde er dennoch mit einer sechsmonatigen Sperre belegt.

Danach gab der DFB Zwayer eine zweite Chance, auch weil der junge Schiedsrichter geständig war und bei der Aufklärung geholfen hatte, wie es hieß. Das Urteil des DFB-Sportgerichts wurde allerdings erst 2014 durch einen Zeitungsartikel publik; bis dahin hatte der DFB es unter Verschluss gehalten – und damit auch die Tatsache, dass die Verbandsjuristen Zwayer für schuldig hielten. Im Gegensatz zum Fall Hoyzer wurde Zwayers Verfahren, das Urteil gegen ihn und die anschließende Sperre, so diskret wie möglich behandelt.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ schrieb damals schon von einem „Fleck“ auf Zwayers Weste. Und dass der Verband einen seiner inzwischen erfolgreichsten Schiedsrichter „decke“. 2014 war Zwayer gerade zum „Schiedsrichter des Jahres“ in der Bundesliga gekürt geworden. Damit gefährde der DFB „Zwayers Integrität und die des Verbands“, so die „Zeit“.

Jude Bellingham kann es nicht fassen: Schiedsrichter Felix Zwayer fällt umstrittene Entscheidungen in der Partie gegen den FC Bayern im Dezember 2021. (Quelle: UWE KRAFT via www.imago-images.de)

Diese Einschätzung könnte sich nun bewahrheiten. Denn zehn Jahre später steht Zwayer an einem nächsten Karriere-Höhepunkt. Nach Einschätzung von Experten zurecht. Die IG Schiedsrichter, ein unabhängiges Fachportal für das Schiedsrichterwesen, sah bei Zwayer bislang „die mit Abstand beste und souveränste Leistung“ bezogen auf den bisherigen Turnierverlauf. Bis auf einen kleinen Fehler im letzten Spiel (das 3:0 der Niederlande gegen Rumänien), als er einen rumänischen Konter wegen eines vermeintlichen Fouls im Mittelfeld abpfiff, konnte Zwayer die Experten mit einer „fantastischen Leistung“ überzeugen. Das Fazit der IG Schiedsrichter: „Entspannt und in so gut wie jeder Entscheidung korrekt, sowie sehr angenehm in der Linie“.

Dennoch sieht sich Zwayer nun mit den alten Vorwürfen konfrontiert. Das liegt auch daran, dass den Job des Schiedsrichters eine besondere Aura umgibt: Er hat um jeden Preis neutral zu sein. Nichts beschädigt sein Image daher so sehr, wie ein Wettskandal. Kein Wunder, dass selbst Kollegen sich verwundert zeigten, ob der steilen Karriere, die Zwayer trotz seiner Vergangenheit im Verband hinlegte.

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