Der wochenlang vermisste Arian ist tot. Ein Experte bewertet die polizeilichen Maßnahmen und spricht über die schwierige Situation der Eltern.

Zu Beginn dieser Woche hat ein Landwirt auf einem Feld bei Behrste in der Gemeinde Estorf eine Kinderleiche bei Mäharbeiten gefunden. Seit Donnerstagnachmittag herrscht Gewissheit, dass es sich um den sechsjährigen Arian handelt, der Anfang April in Elm bei Bremervörde aus seinem Elternhaus verschwand.

Karsten Bettels, ehemaliger Kriminaldirektor bei der Polizei in Niedersachsen und heute Kursleiter des International Cold Case Analysis Project (ICCAP) für das Europäische Zentrum für vermisste Kinder, Amber Alert Europe, kennt sich mit Vermisstenfällen aus. Im Interview mit t-online erklärt er, wie die Ermittlungen im Fall Arian zu bewerten sind und wie man Eltern die Nachricht vom Tod eines Kindes überbringt.

t-online: Herr Bettels, wie geht man als Ermittler in einem Vermisstenfall mit Misserfolg um?

Karsten Bettels: Das hängt davon ab, wie man das Wort Misserfolg definiert. Von 16.500 Kindern, die im Laufe eines Jahres als vermisst gelten, werden 400 bis 500 Kinder im selben Zeitraum nicht gefunden. Das belegen aktuelle Zahlen des BKA. Wenn Kinder, auch aus ganz unterschiedlichen Gründen, nicht wieder auftauchen, kann man sicherlich von Misserfolg sprechen. Denn das Ziel ist ja immer, einen Vermisstenfall aufzuklären und Licht ins Dunkel zu bringen.

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Also ist der Fall Arian kein Misserfolg?

Bei Arian war die Ausgangsposition etwas anders. Aufgrund seines Autismus bestand von Anfang an eine höhere Gefährdung. Natürlich kann man von einem Misserfolg sprechen, weil er nicht innerhalb der ersten Tage und Wochen lebend im Suchgebiet gefunden wurde. Das wird von den Ermittlern sicher auch genauso gesehen. Aber man hat jetzt Gewissheit. Der Junge wurde gefunden, wenn auch nicht lebend. Damit ist der Vermisstenfall zumindest geklärt. Jetzt muss versucht werden, sein Schicksal vor seinem Tod zu klären. Dazu gehört auch die Frage, warum die ersten Suchmaßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben.

Der Fundort der Leiche wurde während der Suchmaßnahmen durchkämmt. Halten Sie es für möglich, dass der Junge übersehen wurde?

Ich kann keine Beurteilung zu laufenden Verfahren abgeben. Man muss abwarten, was die weiteren Feststellungen zur Chronologie der Suchmaßnahmen ergeben. Fest steht: Zu diesem Zeitpunkt herrschte eine andere Vegetation als heute, auch die Landschaft stellte sich ganz anders dar. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass der Junge zu diesem Zeitpunkt an dieser Stelle einfach übersehen worden ist. Im Nachhinein gibt es aber möglicherweise andere Erklärungen.

Video | Leichenfund: Polizei vermutet Zusammenhang mit Fall Arian

Quelle: dpa

Zum Beispiel, dass der Junge erst später an die Stelle gelangt ist, wo er jetzt gefunden wurde. Zu einem Zeitpunkt, als die Suchmaßnahmen schon abgeschlossen waren. Man muss jetzt die weiteren Ermittlungen und auch die abschließenden Befunde der Obduktion abwarten. Dann können vielleicht auch Aussagen getroffen werden, wie lange der Junge schon tot war, bevor er gefunden wurde. Ich werde mich nicht beteiligen mit Spekulationen und möglichen Szenarien.

Die Suchmaßnahmen haben sich immer wieder auf den Fluss Oste konzentriert. War diese Entscheidung richtig? Gefunden wurde Arian schließlich woanders.

Im Rahmen der Suchmaßnahmen und auch während der Ermittlungen werden vielfältige Szenarien überlegt worden sein. Am Anfang ging es aber um die Einleitung von Sofortmaßnahmen. Die Oste war für Arian verhältnismäßig schnell zu erreichen und gleichzeitig eine natürliche Begrenzung, die der Junge nicht überwinden konnte. Dazu wurden dort Spuren gefunden, die ihm zugeordnet wurden. Auch ist das Ertrinken bei vermissten autistischen Kinder die weitaus häufigste Unfallursache, wie Statistiken aus den USA belegen. Vor dem Hintergrund seines Krankheitsbildes bestand eine mögliche Lebensgefahr, denn schwimmen konnte der Junge mit Sicherheit nicht. Dass der Schwerpunkt auf die Oste und andere Gewässer, neben der Suche an Land, gelegt wurde, ist daher absolut sinnvoll und rational nachvollziehbar.

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