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Ein Papst zwischen Fortschritt und Blockade: Wie Franziskus die Kirche veränderte – und warum sein Nachfolger vor einer historischen Herausforderung steht.

Seit dem 13. März 2013 ist Papst Franziskus der 266. Bischof von Rom und damit Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche sowie Souverän des Vatikanstaats. In den vergangenen 12 Jahren förderte er die Diskussion über weibliche Diakone in der katholischen Kirche, half bei der Wiederannäherung zwischen den USA und Kuba, setzte sich in den Flüchtlingskrisen für Schutzsuchende ein und schloss ein Abkommen mit China über die Ernennung katholischer Bischöfe. Doch nicht alle sind mit seinem Kurs einverstanden – konservative Kritiker werfen ihm vor, geschiedenen und wiederverheirateten Katholiken den Weg zur Eucharistie zu ebnen. Aber auch Reformer kritisieren, er habe die Hoffnung, die er einst weckte, nicht erfüllt.

Während der Papst seit über einem Monat im Krankenhaus liegt und Verschwörungstheorien über seinen Zustand kursieren, stellt sich die Frage, in welchem Zustand sich die Kirche nach dem zwölfjährigen Pontifikat von Franziskus befindet. Der renommierte Vatikanexperte Marco Politi spricht von einem „Bürgerkrieg“. Der Vatikan sei längst nicht mehr der unangefochtene Machtpol der Kirche. Im Interview mit t-online erklärt Politi die Machtkämpfe im Vatikan und die Zukunft und das Vermächtnis des Papstes, den er als „Der Unvollendete“ bezeichnet.

t-online: Ein Papst, der unter Wölfen agiert – dieses Bild zeichnen Sie in Ihrem neuen Buch „Der Unvollendete“ vom Vatikan. Sie sprechen gar von einem Bürgerkrieg, wo alle einander hassen. Wie offen wird dieser Machtkampf ausgetragen?

Marco Politi: Der Machtkampf begann bereits vor zehn Jahren. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten erleben wir eine Situation, in der es in verschiedenen Teilen der Weltkirche organisierte Gruppen gibt, die gegen Papst Franziskus arbeiten. Das begann 2014/2015 während der Familiensynode, als es um die Frage ging, ob wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hatten dies abgelehnt. Doch als die Ultrakonservativen merkten, dass Franziskus hier eine Neuerung anstoßen könnte – und dies dann auch tat –, organisierten sie sich. Sie sammelten Unterschriften, verbreiteten ihre Kritik in den sozialen Medien und machten den Papst zum Feindbild, weil er angeblich von der „wahren Lehre“ abweiche.

Wer sind die führenden Köpfe dieser Opposition?

Vor allem der amerikanische Kardinal Raymond Leo Burke, der deutsche Kardinal Joachim Meisner – der mittlerweile verstorben ist –, Kardinal Carlo Caffarra aus Italien sowie Kardinal Walter Brandmüller aus Deutschland. Später zeigte sich auch, dass der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, in Opposition zu Franziskus stand – weshalb der Papst ihn nach fünf Jahren im Amt entließ.

Also ist es ein Kampf zwischen Traditionalisten und Reformbereiten. Ist dieser Konflikt rein theologisch oder steckt mehr dahinter?

Es ist sowohl ein theologischer als auch ein soziologischer Kampf. Interessant ist, dass er nicht mehr hauptsächlich in der Kurie geführt wird, sondern sich auf die Weltkirche verlagert hat. In Nordamerika ist das Episkopat gespalten, in Osteuropa werden Reformen blockiert, und in Afrika hat sich das gesamte Episkopat gegen die Segnung homosexueller Paare ausgesprochen.

Marco Politi (Quelle: Marco Politi )

Marco Politi wurde 1947 in Rom geboren und gilt als einer der renommiertesten Vatikanexperten. Über 50 Jahre hinweg begleitete er die Pontifikate von Paul VI. bis Franziskus. Politi schrieb unter anderem 20 Jahre für die italienische Tageszeitung „La Repubblica“, später wechselte er zum „Fatto Quotidiano“. Gemeinsam mit dem amerikanischen Starjournalisten Carl Bernstein verfasste er eine politische Biografie des polnischen Papstes Johannes Paul II. 2012 veröffentlichte er die Monografie „Benedikt. Krise eines Pontifikats“. Es folgte „Franziskus unter Wölfen“ und 2020 „Das Franziskus-Komplott“. In dem Buch beschrieb Politi, welche konservativen Netzwerke, Kardinäle und Bischöfe im Vatikan und im Ausland Papst Franziskus bekämpfen.

Wo sehen Sie konkret die tiefsten Spaltungen?

In den USA ist die Kirche intern stark gespalten. Afrika hingegen zeigt eine geschlossene, konservative Haltung. Westeuropa ist reformorientierter, doch die progressiven Kräfte sind oft nicht so lautstark wie die Konservativen. Das hat dazu geführt, dass die Gegner von Franziskus ihn in entscheidenden Momenten ausbremsen konnten – etwa bei der Amazonas-Synode 2019, als er verheirateten Priestern in entlegenen Regionen eine Perspektive eröffnen wollte. Die konservativen Kräfte, darunter auch Benedikt XVI., intervenierten, und am Ende musste Franziskus zurückweichen.

Wie stark beeinflusst dieser interne Machtkampf die Entscheidungen des Papstes? Ist Franziskus eher Getriebener oder Gestalter?

Er muss vor allem verhindern, dass es zu einer Spaltung der Kirche kommt. Die anglikanische Kirche hat sich durch ähnliche Konflikte tief gespalten – das will Franziskus vermeiden. Doch wo er einmal Reformen durchgesetzt hat, gibt es kein Zurück: Wiederverheiratete Geschiedene können die Kommunion empfangen, Frauen haben erstmals Stimmrecht bei Synoden. Diese Entwicklungen lassen sich nicht mehr rückgängig machen.

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