Mickey Rourke wird siebzig Jahre alt – und ganz egal, was er selbst zu diesem Thema sagt. Wer ihn sieht in diesen Tagen, beim Interview mit Piers Morgan im Juli zum Beispiel, der sieht überdeutlich, dass dieses Alter nicht zu ihm passt und dass Mickey Rourke nicht einverstanden ist, so wie er noch nie mit sich und seinem Alter einverstanden war, selbst damals nicht, als er sehr jung war und für eines der größten Talente des amerikanischen Films gehalten und gehandelt wurde.
Er wollte, seit er vierzehn war, ein Mann sein und erwachsen, hat er in vielen Interviews gesagt. Aber als er 1983 in Francis Ford Coppolas „Rumble Fish“ den Motorcycle Boy spielte, den coolen, kühnen und hemmungslos bewunderten großen Bruder von Matt Dillon: Da glaubte man zu sehen, dass es ihn unendliche Mühen kostete, so cool zu sein. Und dass er lieber so jung wie Matt Dillon gewesen wäre. So unschuldig und so anstrengungslos gut aussehend.
Auch ein Jahr zuvor, in Barry Levinsons wunderbarem Jungsfilm „Diner“ war er sechs, sieben Jahre zu alt für die Rolle des haltlosen und ziemlich verrückten Robert Sheftell – auch wenn man merkte, welches Vergnügen ihm die Szene machte, in der er mit seiner Freundin im Kino sitzt, eine Tüte mit Popcorn im Schoß. Und als sie hineingreift, hat sie etwas ganz anderes in den Fingern.
Ein Mann und sein Gegenteil
Und am nächsten bei sich war Rourke womöglich in Michael Ciminos „Jahr des Drachen“, wo er aussah, als wäre der ganze Mann außer sich geraten, mit dem hübschen Jünglingsgesicht, den ergrauten Haaren dazu und der uralten polnisch-katholischen Moral, mit der dieser Held aber nicht weiterkommt in Manhattan. Quentin Tarantino soll vom Showdown des Films so fasziniert gewesen sein, dass er, knapp zehn Jahre später, Rourke die Rolle des Butch Coolidge in „Pulp Fiction“ anbot. Rourke lehnte ab, und so spielte dann jener Bruce Willis mit, der, als er in „Blind Date“ seine erste Kinohauptrolle bekam, die Frage aufgeworfen hatte, ob er womöglich nur der jüngere und etwas spießigere Bruder von Mickey Rourke sei.
Dass der so groß war in den Achtzigern, das lag womöglich auch daran, dass es ihn in fast jedem Film gewissermaßen zweimal gab: als Bild und als sein Spiegelbild, als Mann und als seine Vorstellung von dem, was ein Mann sein sollte – Rourke, so kam es einem vor, spielte immer nur für sich, manchmal zugleich auch gegen sich; und immer war er sich selbst das beste Gegenüber. Was, da er eben meistens uneins mit sich war, seinem Spiel die Tiefe und die Intensität gab, die das Publikum fesselten. Und die seine Partnerinnen manchmal verzweifeln ließen. Wie es so sei, Mickey Rourke zu küssen, wurde Kim Basinger nach den Dreharbeiten zu „9 1/2 Wochen“ gefragt: Es sei so, als würde man einen vollen Aschenbecher auslecken.
Alan Parkers „Angel Heart“ ist ein Film, über dessen Bluffs und Prätentionen man sich noch heute, 35 Jahre nach der Premiere, empören kann. Aber Rourke, als der Privatdetektiv, der ahnt, dass er gegen sich selbst ermittelt, bleibt trotzdem unvergesslich. Und es war Parker, der später erzählt hat, dass er in den Szenen, die Rourke hier gemeinsam mit Robert De Niro hat, sein Drehbuch nicht mehr wiedererkannt habe: die beiden improvisierten nicht bloß, sie duellierten sich – und aus der Perspektive des Zuschauers sah es nicht so aus, als ob Rourke verloren hätte gegen den Superschwergewichtsschauspieler De Niro.
Wer ist schon alt genug?
Dass es schwierig war und sehr anstrengend, mit ihm zu arbeiten, erzählte Parker aber auch. Dass er unerträglich sei, beklagten die, die mit ihm spielen mussten. Dass er sich selbst nicht mehr aushielt, dass sein Bild von sich selbst und das, was er eigentlich sein wollte, zu stark auseinanderklafften, hat Rourke später selbst erzählt. Er wollte womöglich seine Karriere gar nicht beenden, er brauchte nur ein paar stärkere Reize, ein kräftigeres Gegenüber. Er hatte schon als Zwölfjähriger seinen ersten Titel im Amateurboxen gewonnen und mit der Schauspielerei nur deshalb angefangen, weil er nach einer Gehirnerschütterung ein Jahr lang pausieren musste. Jetzt, mit 39 Jahren, kam er in den Boxring zurück, ließ sich verprügeln, die Nase brechen, die Rippen auch, und als er nach ein paar Jahren wieder aufhörte damit, waren von seinem schönen Gesicht vor allem Beulen geblieben, was mehrere Operationen nur noch schlimmer machten.
Es klingt womöglich zynisch, und es ist zugleich eine gute Nachricht, dass in Darren Aronofskys „The Wrestler“, seinem Comeback, in dem Rourke die Titelrolle als Variante seiner selbst spielte, hinter den Narben und Schwellungen, hinter verquollenen Augen und wulstigen Lippen das Können und der Charakter Rourkes einen umso stärkeren Ausdruck fanden. Wenn dieser Mann in den Spiegel schaut, erblickt er kein Phantom. Sondern den unwiderlegbaren Beweis dafür, dass es ihn gibt und dass er eine Geschichte hat. Wenn auch eine schmerzhafte.
Mickey Rourke wird siebzig und ist damit nicht einverstanden, und das Mindeste, was man ihm wünschen kann, ist, dass er dabei bleibt. Versöhnen kann er sich, wenn er sich alt genug dafür fühlt.