laut.de-Kritik
Die einstigen Stars verzwergen endgültig zu einem Dance-Pop-Projekt.
Review von Rinko Heidrich
“Dann wird alles gut“, sang Tokio Hotel-Sänger Bill Kaulitz am Ende von “Durch den Monsun“. Ob man den Song mag oder nicht, er gehört zu den größten Hits der Nullerjahre und das nicht nur in Deutschland. Zwanzig Jahre nach dem großen Hype blickt man doch gnädiger auf das einstmals so große Hassobjekt. Der einstige Spott entlarvte in seiner dumpfen Homophobie viel mehr die Hater als die unschuldige Teenager-Band.
Die Metamorphose von der Bravo-Sensation zu einer erwachsenen Pop-Gruppe verläuft seitdem – sieht man von den Boulevard-Berichten über die Kaulitz-Zwillinge mal ab – unspektakulärer, was logischerweise auch die Anzahl der Neider reduzierte. Fast hatte man sie also schon vergessen, da erscheinen Tokio Hotel wieder auf der Bildfläche. Einmal durch das Dance-Projekt Vize und als Gäste auf der “Kraftklub“-Single “4×4”. Beides nicht gerade Paukenschläge, aber doch eine kleine Rehabilitation in der deutschen Musiklandschaft.
“Dann wird alles gut” klang damals eher nach Skepsis, aber scheint zwanzig Jahre später doch in Erfüllung zu gehen. Vielleicht ein Grund, warum die Zeile in der neuen 2022-Version von “Durch den Monsun” das Album eröffnet. Kaum Gitarren und eine Mixtur aus gängigen Charts-Sounds und Deep House-Beach-Party – schlimmer kann man sich aktuellen Radio-Pop-Standard kaum anbiedern.
Alben wie “Humanoid” bemühten sich wenigstens um eine Weiterentwicklung zwischen Emo-Pop und Indie-Rock. Man muss jetzt nicht die Alben dieser Band in einem Anfall aus Altersmilde schönreden, aber sie hatten immerhin Eigenständigkeit. Allein das schlagereske Malle-Artwork von “2001” ist so lieblos entworfen, dass nicht einmal eine leise Ahnung von Selbstironie etwas rettet.
“White Lies“, die Hit-Single mit dem bauerntölpeligen Dance-Projekt Vize, verfährt nach selbigem Kommerz-Muster und bildet den Blueprint für das komplette Album: Substanzlose Harmlos-Belieferung für Nebenbei-Hörer und Provinz-Discos, kaum noch unterscheidbar von Gestört Aber Geil oder Robin Schulz. Genau diese Art Musik, die ihre Hater wohl auch feiert. Soundtechnisch verzwergen Tokio Hotel endgültig zu einem Dance-Pop-Projekt unter vielen und empfehlen sich für Beschallung in Fitness-Clubs. Und wir reden hier über eine Band, die mal bei den MTV-Awards 2008 zusammen mit Linkin Park und Britney Spears zu den Gewinnern gehörten.
Übrig bleiben aus dieser Zeit nur noch die traurigen Texte von Bill, der auch noch mit Mitte dreißig die Liebe sucht. Sein melancholischer Gesang in “Bad Love“, “Ain’t Happy” gibt immerhin einen Kontrast zu dem substanzlosen Beach Party-Gedudel. Die Traurigkeit hinter der Fassade entblößte das ehemalige Teenie-Idol bereits in dem Buch “Career Suicide“. Da beschrieb er die Aufgabe des großen Traums, der Druck der Plattenfirma, immer weiter zu funktionieren, und das Ausbrennen in einer absolut gnadenlosen Musikindustrie. Wahrscheinlich ist das eigentliche Ansinnen von “2001”: Endlich für immer in der Masse verschwinden. So bleibt am Ende ein Zitat aus dem gleichnamigen Kubrick-Film: “Das Gespräch hat keinen Zweck mehr; es führt zu nichts. Lebwohl!“
Trackliste
- 1. Durch den Monsun
- 2. HIM
- 3. White Lies
- 4. Ain’t Happy
- 5. Just A Moment feat. Vvaves
- 6. Hungover You
- 7. Smells Like Summer
- 8. Happy People feat. Dadi Freyer
- 9. Here Comes The Night
- 10. Dreamer
- 11. Runaway
- 12. When We Were Younger
- 13. Bad Love
- 14. Another Lover
- 15. Berlin feat. Vvaves
- 16. Back To The Ocean