Die Zeichen stehen auf Krise: Nach starken Jahren befindet sich Russlands Wirtschaft nun im Abschwung. Woran das liegt, erklärt Wirtschaftswissenschaftler Janis Kluge im Interview.
Bisher hat Russlands Wirtschaft trotz des Angriffskriegs gegen die Ukraine und westlicher Sanktionen gebrummt. Doch das ist nun wohl vorbei. Der Rubelkurs ist zuletzt abgestürzt, dafür explodiert die Inflation.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Russland-Experte Janis Kluge sieht klare Anzeichen für einen Abschwung. Diese dürften auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin beunruhigen. „Russland stößt an seine Grenzen“, sagt Kluge im Interview mit t-online. Außerdem erklärt er, warum und wie sich das auf Russlands Kriegsführung auswirken könnte.
t-online: Herr Kluge, der Rubel befindet sich im Sinkflug, die Inflation hingegen steigt. Manche Beobachter prophezeien der russischen Wirtschaft einen baldigen Kollaps. Sehen Sie das auch so?
Janis Kluge: In der Tat sieht es für die russische Wirtschaft aktuell nicht gut aus. In die Abgesänge würde ich aber noch nicht einstimmen. Man kann jedoch mit Fug und Recht behaupten: Russland stößt an seine Grenzen.
Janis Kluge ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Russland und China, insbesondere die russische Innenpolitik und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Zudem beschäftigt sich Kluge eingehend mit Wirtschaftssanktionen. Er promovierte an der Universität Witten/Herdecke.
Bisher hat sich Russlands Wirtschaft trotz des teuren Angriffskriegs und westlicher Sanktionen recht stabil gehalten. Woher kommt die scheinbar plötzliche Krise?
Plötzlich kommt die Krise nicht. Russland hat in den vergangenen rund drei Jahren sehr viel Geld in die Hand genommen, um seinen Krieg zu finanzieren. Diese Mittel gingen vor allem in die Rüstungsindustrie und die Rekrutierung neuer Soldaten. Das Ganze wirkte wie ein großes Konjunkturprogramm. Die Wirtschaft wuchs stetig und besonders stark im vergangenen Jahr. Nun kommt Russlands Wachstum jedoch langsam zum Erliegen.
Es sind viele neue Jobs geschaffen worden, vor allem in der Armee und der Rüstungsindustrie. Wenn mehr Menschen arbeiten, steigt die Wirtschaftsleistung. Doch Putins Modell funktioniert nicht mehr: Es herrscht mittlerweile ein akuter Mangel an Arbeitskräften. Die Produktion kann so nicht weiter gesteigert werden. Es ist auch ein demografisches Problem.
Wie wirkt sich das auf die russischen Unternehmen aus?
Sie stehen in starker Konkurrenz zueinander, um offene Stellen zu besetzen. Durch den Arbeitskräftemangel können sie nur noch versuchen, einander mit Gehältern zu überbieten und sich so gegenseitig die Arbeiter abzujagen. Dadurch aber sind letztlich nicht mehr Menschen in Arbeit und es wird auch nicht mehr produziert. Das führt dann zu Inflation.

Seit Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine haben sich viele westliche Unternehmen aus Russland zurückgezogen. Hatte das keine Auswirkungen auf die russische Wirtschaft?
Selbstverständlich, und besonders in den Anfangsmonaten war das ein bedeutender Faktor. Der klarste Fall ist die Automobilindustrie, die fast vollständig in westlicher Hand war. Durch den Rückzug sind die meisten Autowerke zunächst zum Stillstand gekommen. Inzwischen werden in manchen der Fabriken wieder Autos produziert. Aber das ist kein Vergleich zur Zeit vor der Vollinvasion: Damals wurde etwa doppelt so viel produziert wie jetzt.
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Mittlerweile sollen chinesische Unternehmen aber viele Werke übernommen haben.
Das stimmt teilweise. Einige chinesische Autos werden fast fertig nach Russland geliefert und dort nur noch zusammengeschraubt. Aber die Stückzahlen sind gering. Das ist also bei Weitem nicht mit dem vergleichbar, was westliche Autohersteller zuvor in Russland gemacht hatten. Stattdessen ersetzen die Importe fertiger chinesischer Autos im Wert von vielen Milliarden Dollar das, was früher in Russland produziert wurde.
Die Sanktionen auf russische Exporte wurden meiner Meinung nach teilweise gewollt löchrig gehalten.
Janis Kluge
Welche Auswirkungen hat das?
Das belastet vor allem die Handelsbilanz und schwächt den Rubel. Der Wegfall der westlichen Autoproduzenten ist schädlich für die russische Wirtschaft, da man eigentlich große Produktionskapazitäten hätte, sie aber nicht mehr einsetzen kann.
Der Rückgang der russischen Wirtschaft wird in Teilen auch den westlichen Sanktionen zugeschrieben. Diese hatten lange keinen guten Ruf, galten als löchrig. Wie bewerten Sie die Strafmaßnahmen?
In den ersten Kriegsmonaten hatten sie durchaus eine starke Wirkung. Dann aber hat es Russland erfolgreich geschafft, die Sanktionen im großen Stile zu umgehen. Das ist erst mal nicht überraschend. Es war eher verblüffend, wie einfach das teilweise war. Es gibt viele Wege der Umgehung. Nur bei speziellen Gütern wie etwa großen Maschinen, Waffenkomponenten oder auch Flugzeugteilen sind die Sanktionen so wirksam, dass eine Umgehung schwer wird. Das betrifft also die Importe. Die Sanktionen auf russische Exporte hingegen wurden meiner Meinung nach teilweise gewollt löchrig gehalten.