Während der letzten Legislaturperiode nahm die Arbeit der EU an der Gesundheitspolitik mit der COVID-19-Pandemie und dem Europäischen Gesundheitsdatenraum Fahrt auf. Euronews sprach mit dem EVP-Koordinator für öffentliche Gesundheit im Parlament über die nächsten Herausforderungen.
Die Gesundheit müsse auf europäischer Ebene weiterhin Priorität haben, erklärte der Europaabgeordnete, der den Europäischen Gesundheitsdatenraum leitete, in einem Interview mit Euronews. Er betonte darin die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zur Verbesserung der Früherkennung und Prävention von Krankheiten sowie der Entwicklung neuer Medikamente.
„Vor dem vorherigen Mandat, vor dem europäischen Plan zur Krebsbekämpfung und vor COVID-19 war die Gesundheitsversorgung ein Randthema in den europäischen Institutionen“, sagte Europaabgeordneter Tomislav Sokol (Kroatien/Europäische Volkspartei).
Er fügte hinzu, die Pandemie und der Medikamentenmangel, den die EU in den letzten Jahren erlebt habe, hätten gezeigt, dass die Mitgliedstaaten nicht alle Gesundheitsprobleme allein lösen könnten.
Sokol war der federführende Europaabgeordnete für den Europäischen Gesundheitsdatenraum, der einen gemeinsamen europäischen Rahmen für den Austausch von Gesundheitsdaten schuf, und verhandelte im Namen der EVP über die Überarbeitung der Arzneimittelgesetzgebung des Blocks – ein Dossier, das im vergangenen Jahr für einige Kontroversen sorgte und in der nächsten Legislaturperiode eines der komplexesten Themen sein dürfte.
Nachdem der Kommissionsvorschlag im April 2023 vorgelegt wurde, einigte sich das Europäische Parlament ein Jahr später in einem letzten Sprint der Kammer auf seine Position, um noch vor den Europawahlen im Juni 2024 einen Standpunkt zu sichern.
Der kroatische Europaabgeordnete fügte jedoch hinzu, dass die Position des Rates noch immer sehr unsicher sei und es weiterhin unklar sei, wann er bereit sein werde, interinstitutionelle Gespräche aufzunehmen.
Zu den bislang umstrittensten Aspekten zählten dabei die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Anreize für die Entwicklung neuer Arzneimittel sowie die Verkürzung der gesetzlichen Schutzfristen.
„Wir müssen eine Balance finden zwischen der Förderung von Forschung und Entwicklung sowie der Innovation neuer Medikamente auf der einen Seite und der Ermöglichung des vollständigen Zugangs für Patienten in der EU auf der anderen Seite“, sagte er.
Neue und alte Herausforderungen
Neben den noch ausstehenden Arbeiten aus dem vorherigen Mandat gebe es laut Sokol auch wachsende Herausforderungen, denen sich die EU in den nächsten fünf Jahren stellen müsse. Eine davon sei die psychische Gesundheit. Die Europäische Kommission veröffentlichte im Juni 2023 eine Mitteilung zur psychischen Gesundheit, und das Europäische Parlament verabschiedete eine nicht bindende Entschließung, um die psychische Gesundheit auf eine Stufe mit der körperlichen Fitness zu stellen und die Stigmatisierung derjenigen zu bekämpfen, die an entsprechenden Krankheiten leiden.
Obwohl bereits einiges getan worden sei, fügte Sokol hinzu, dass die EU „einen viel klareren und energischeren Ansatz verfolgen sollte“.
Der Koordinator des EVP-Gesundheitsausschusses betonte zudem die Notwendigkeit, einen Plan für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln.
„In ähnlicher Weise wurde im Hinblick auf Krebs – die Todesursache Nummer zwei in der EU – entschieden, dass eine kardiovaskuläre Strategie definitiv eine der Prioritäten sein sollte, da Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nummer eins sind.“
Der EU-Plan zur Krebsbekämpfung war eine der Vorzeigeinitiativen der vorherigen Kommission und soll laut Sokol als Vorbild für andere Strategien dienen.
„Der Krebsplan war deshalb so wichtig, weil er keine Wunschliste war, sondern konkrete Fristen, Benchmarks und Maßnahmen enthielt. Er enthielt auch konkrete Finanzmittel, was sehr wichtig ist“, fügte er hinzu.
Auch die ungarische Ratspräsidentschaft hat Herz-Kreislauf-Erkrankungen ganz oben auf ihre Agenda für die nächsten sechs Monate gesetzt. Ihr Ziel ist es, die Schaffung eines EU-weiten Plans zur Herz-Kreislauf-Gesundheit voranzutreiben, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Prävention und der Bekämpfung von Ungleichheiten liegen soll.
Initiativen müssen finanziell abgesichert sein
Das im Zuge der Covid-19-Pandemie verabschiedete Programm EU4Health war das erste Programm, mit dem die Union ein eigenes Budget für den Gesundheitsbereich bereitstellte – ein Meilenstein angesichts der Tatsache, dass die Gesundheitsfürsorge nach wie vor fest in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegt.
Die für den Zeitraum von 2021 bis 2027 vorgesehene Zuweisung von 5,3 Milliarden Euro ist allerdings nach Aussage des Generaldirektors des Gesundheitsdienstes der Kommission nicht wahrscheinlich.
„Mit dem gekürzten Budget ist es unmöglich, all die Dinge zu tun, die wir tun möchten, daher sollte dies eine der Prioritäten sein“, sagte Sokol.
Die Gesundheitsgemeinschaft in Brüssel hat erfahren, wie schwierig es ist, mit weniger EU-Geldern auszukommen. Im Februar beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs, eine Milliarde Euro aus dem europäischen Gesundheitsprogramm umzuschichten, um einen Teil des Hilfspakets für die Ukraine zu finanzieren.
Ein Vollausschuss sein oder nicht?
Im neuen Parlament war die Rolle der öffentlichen Gesundheit und die Frage, wer sich darum kümmern sollte, einer der Streitpunkte zwischen den politischen Fraktionen.
Die EVP, die Fraktion von Tomislav Sokol und die größte in der Kammer, schlug die Schaffung eines eigenen Ausschusses für Gesundheit vor. Dieser sollte sich von einem bereits bestehenden Gremium – innerhalb des umfassenderen Umweltausschusses – unterscheiden, das sich mit Umwelt, öffentlicher Gesundheit und Lebensmittelsicherheit befasst und in dessen Rahmen in der letzten Legislaturperiode Gesundheitsdiskussionen geführt wurden.
Sokol hält die Existenz dieses separaten Ausschusses für „ausschlaggebend“. Er behauptet, dass er, sollte er in dem größeren Gremium verbleiben, durch den Umweltschutz unter Druck geraten würde. Dieser ist zu einem der größten Politikbereiche der Europäischen Union geworden und erfordert eine enorme Menge an Gesetzgebungsarbeit.
Die Hauptgegner dieser Idee argumentieren mit der Notwendigkeit, den sogenannten „One Health“-Ansatz beizubehalten – das Prinzip, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt untrennbar miteinander verbunden sind – und dieser durch die Trennung gefährdet sei.
„Da alle Politikbereiche miteinander verflochten sind, zum Beispiel Energie, Wirtschaft, Umweltschutz, ist all dies auch miteinander verbunden, verflochten. Wenn man diese Logik anwendet, dass alles miteinander verbunden ist, dann kann man im Europäischen Parlament nur einen riesigen Ausschuss haben“, argumentierte Sokol.