Viele Menschen geben in Nachwahlbefragungen an, aus Angst für die AfD gestimmt zu haben. Die hat aber gar keine Lösungen. Warum sie trotzdem gewählt wird, erklärt Konfliktforscher Professor Andreas Zick.
Die Europawahl hat gezeigt: Die Menschen in Deutschland haben mehrheitlich für konservative bis rechtsextreme Positionen gestimmt. Viele Wähler geben in Nachwahlbefragungen an, dass Angst sie dazu motiviert habe. Sie haben Angst vor steigender Kriminalität, Migration, Muslimen oder Veränderungen, aber auch vor der Klimakrise und um den Frieden in Europa. Politische Polarisierung gefährdet allerdings Frieden mehr, als dass sie ihn sichert, und gegen die Klimakrise hilft es wohl kaum, eine Partei zu wählen, die sich weigert, diese zur Kenntnis zu nehmen. Warum geschieht es also trotzdem? Professor Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld forscht seit Jahren zu der Frage, welche Dynamiken die Gesellschaft verändern, vereinen und trennen.
t-online: Viele wählten bei der Europawahl in Deutschland konservative oder sogar rechtsextreme Parteien. Liegt das wirklich an der viel beschworenen Angst?
Prof. Andreas Zick: In Krisenzeiten gibt es bei Wahlen oft einen Hang zum Konservativen. Das ist aber keine zwangsläufige Entwicklung. In Finnland etwa, das an der Konfliktlinie zu Russland viel näher dran ist als wir und große Sorgen hervorruft, haben die Menschen nicht konservativ gewählt. In Polen ist die rechtspopulistische Politik sogar abgewählt worden, obwohl auch dort die Krisen wirken. Und in Teilen von Deutschland wie Westeuropas wurde nicht nur konservativ gewählt, sondern rechtspopulistisch bis rechtsextrem.
Professor Andreas Zick ist Sozialpsychologe und leitet als Professor für Sozialisation und Konfliktforschung seit April 2013 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld.
Welche Ängste führen zu Wahlentscheidungen für rechtspopulistische Politik?
Die Politik mit der Angst ist eine zentrale Taktik des Rechtspopulismus. Die Angstkampagnen von Donald Trump ist voll darauf ausgerichtet. In Deutschland ist es immer das Thema Migration und Migrationspolitik, das kurz vor den Wahlen wieder aufgebracht wird, mit Bildern, die Angst machen sollen. Vorher sorgen sich Menschen um ganz andere Dinge wie die Klimakrise, Gerechtigkeit oder Inflation. Langzeitstudien wie das Eurobarometer zeigen. Vor Wahlen setzen populistische Parteien Migration als Angst-Thema auf die Agenda. Aber sie bieten keine Lösungen an, sondern sie verstärken die gefühlten Probleme. Sie verstärken bei den Wählerinnen und Wählern das Gefühl der Verunsicherung, der Ohnmacht, des Kontrollverlustes. Dann wenden sich Menschen autoritären Ideen zu, wünschen sich eine Partei oder eine Person, die die Führung übernimmt und die Ordnung erhält.
Ist es für die Wahlentscheidung wichtig, dass die Ängste real sind?
Das fragen wir regelmäßig in Studien ab. Persönlich fühlen sich die meisten Menschen in Deutschland sicher, persönlich haben sie wenig Angst. Wenn wir fragen, ob sie glauben, dass „Menschen wie sie“ von Krisen betroffen sind, ist die Zustimmung höher. Fragen wir dann, ob Deutschland von Krisen betroffen sind, dann stimmt dem fast jede zweite Person zu laut unserer Mitte-Studie aus dem letzten Jahr. Das subjektive Gefühl gewinnt gegenüber den objektiven Fakten. Besonders bei den Menschen ab dem Mittelstand, denen es praktisch gut geht, greift die Angst. Ein Problem entsteht dann, wenn die traditionellen Parteien die Angst-Rhetorik nicht bremsen, sondern selbst in das gleiche Horn stoßen. Wenn die Ängste lang genug geschürt werden, können sich die Ängste in Zorn verwandeln, der sich dann politisch organisiert. Der Populismus bietet Wut und Zorn an. Darauf sind die Demokratien, wie wir gerade sehen, nicht gut vorbereitet. Sachargumente greifen nicht mehr.
Aber populistische Parteien bieten für die Ängste doch gar keine funktionierenden Lösungen an – warum werden sie trotzdem gewählt?
Das ist eine Spezialität des Populismus: Diese Parteien hantieren mit Scheinfakten und Scheinlösungen: `Grenzen zu!`, der Dexit, die Forderung, dass Deutschland aus der EU austrete, das Setzen auf irgendwelche Dialoge mit Russland, oder die Bevorzugung nationaler Wirtschaft. Dies zu benennen, reicht, damit Menschen das Kreuz auf dem Stimmzettel machen. Niemand fragt, ob das rechtlich und praktisch umzusetzen wäre. Das einfache Angebot klingt zu verlockend. Das Versprechen dahinter ist ja: Wenn es diese eine Sache nicht mehr gibt, wird für Dich persönlich alles besser. Das glauben Menschen gern. Außerdem haben es die populistischen Parteien geschafft, ihre Wahl als einen Akt des Widerstandes darzustellen, als Rebellion im eigenen Land. Wie viele Menschen das anspricht, ist von den etablierten Parteien unterschätzt worden.