So weit das Auge reicht, wird Laura Müllers Song „Superstar“ verrissen. Dabei steckt dahinter ein Virtuose an der Feder: Michael Wendler. Eine Analyse (oder Glosse).

„Ich habe nichts erwartet und wurde trotzdem enttäuscht“, „Ein schöner Tag, um keine Ohren zu haben“, „Ich glaube nicht, dass ich genug Bier zu Hause habe, um dieses Meisterwerk zu vergessen“: Es sind nur einige von vielen Lobeshymnen auf „Superstar“, den neuen Song von Laura Müller.

Zeit, sich diesem „Meisterwerk“ anzunähern. Denn die Genialität des Songwriters M. Wendler ist vielleicht nicht beim ersten Hinschauen zu erkennen – und womöglich auch nicht beim zweiten oder dritten. Genau deshalb sollte der Text mal gründlich unter die Lupe genommen werden: Steckt der Teufel im Detail?

Schau auf meinen Body, findest du mich heiß? (Heiß)
Deine Augen zieh’n mich aus, Martini liegt auf Eis (Eis)

Gewieft! Herr Wendler hat sich an seine Grundschulzeit erinnert. Damals lachten seine vom Fangen spielen verschwitzten Mitschüler noch, als der kleine Micha reimte: „Boah ist das heute heiß, ich glaube, ich brauche ein Eis.“ Hihi, geht auch mit Body und Martini – und mit erotisch (an)gehauchter Wiederholung. Klassiker altern nicht.

Die eigentliche Genialität liegt jedoch in der Anspielung auf Deutschlands größten Schlagerstar und ihren Kassenschlager „Atemlos durch die Nacht“: Schon Helene Fischer sang in ihrem Song die Zeile „Deine Augen ziehen mich aus“. Bis eben dachte die Welt, die Songwriterin Kristina Bach hätte das für Helene Fischer getextet, doch jetzt kommen Zweifel auf: Steckt etwa Wendlers brillante Feder dahinter?

Meine rote Sohle streichelt dein Gesicht
In Gedanken bin ich shoppen, das sag‘ ich dir nur nicht

Jetzt wird es „feinsinnig“, wie Dieter Dehm sagen würde. Rote Sohle, da denkt man an einen Spitznamen für den ehemaligen Linken-Politiker. Wendler und Dehm in einem Song? Mehr Verschwörungswahnsinn geht nicht.

Zurück zur Kunst: Laura Müller verschweigt ihrem anonym besungenen Verehrer Shoppingfantasien. Das ist emanzipiert und verrucht zugleich im Sinne der femininen Formel „selbst ist die Frau“ und der Vorstellung, wie sie sohlenstreichelnd an billigste Lack-und-Leder-Ware denkt – oder an die roten High-Heels-Sohlen des französisch-ägyptischen Luxusdesigners Christian Louboutin.

Nenn mich Luxus-Lady, das ist mir egal
Dior in hundert Farben schmücken mein Regal

So langsam kommt der Song in Fahrt wie ein Ferrari, dem bedauernswerterweise eine Hauptrolle im Video zukommt. Am 18. April 2024, kurz nach 18 Uhr, soll unbestätigten Informationen zufolge in Modena die Erde gebebt haben. Wie es heißt, habe sich Enzo Ferrari im Grabe umgedreht.

Dennoch: Der italienische Schlitten und die Luxus-Lady geben ein kunstvolles Kontrastprogramm ab. Dort die Traditionsmarke voller Stil und Eleganz und in ihren hellbraunen Ledersitzen die 23-jährige Ehefrau des „Egal“-Sängers aus Tangermünde, Sachsen-Anhalt. Diese Laura Müller ist ungefähr so elegant wie eine schwangere Frau, die Bilder von sich und ihrem Bauch mit Beiträgen wie „Schreibe mir ‚geil und schwanger‘ für die unglaublichen heißen Pics“ bewirbt.

Von „hundert Farben“, geschweige denn Dior, ist bei Laura Müller wenig zu sehen. Ihre bevorzugten Farben: Schwarz und Rot – und das auf Lack. Aber das ist das Schöne an der Kunst: Sie ist viel größer als die Wirklichkeit – und frei von jeglichen Zwängen des Faktischen.

Ich mach‘ es gern im Auto, den Knüppel in der Hand
Aber nur in ’nem Ferrari, denn der ist mir bekannt

Was meint das lyrische Ich nur mit dem Verb im ersten Satz? Autofahren? Shoppen? Dior-Farben sortieren? Andere Gesichter mit Sohlen streicheln? Die vage gehaltene „mach“-Konstruktion lädt zum Fantasieren ein, der Knüppel, sinnbildlich für etwas Hartes, Bedrohliches wird als Gegenstück platziert. Die Lyrik läuft zur Hochform auf. Michael Wendler, der Mann aus Dinslaken, ein moderner Versvirtuose aus dem Land der Dichter und Denker.

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