Rat für Betroffene und Angehörige
Suizidalität: Hier gibt es Hilfe, wenn das Leben schwerfällt
Aktualisiert am 09.09.2024 – 14:28 UhrLesedauer: 4 Min.
Der Gedanke, so nicht mehr leben zu wollen, kommt bei psychischen Erkrankungen, aber auch in Lebenskrisen vor. Das Wichtigste: darüber reden. Experten geben Rat für Betroffene und Angehörige.
Jedes Jahr am 10. September steht der Welttag für Suizidprävention im Zeichen der Aufklärung und Unterstützung für Menschen mit Suizidgedanken. In Deutschland starben im vergangenen Jahr über 10.000 Menschen durch Suizid, viele weitere unternahmen Versuche. Damit stiegen die Zahlen nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht an. Besonders viele Suizide gab es bei älteren Menschen über 65 Jahren.
Aber: Bei Suizidalität ist Hilfe möglich und ein Suizid vermeidbar, sagt Prof. Dr. Reinhard Lindner, einer der beiden Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NaSPro). Er erklärt, wie Menschen mit Selbstmordgedanken in ihrer extremen Verzweiflung Hilfe bekommen und wie Angehörige sie unterstützen können.
Im Jahr 2023 haben sich mehr Menschen das Leben genommen als im Jahr zuvor. Knapp die Hälfte der Menschen, die Suizid begingen, waren 65 Jahre oder älter (46 Prozent). Gleichzeitig war jede 21. Person, die durch Suizid starb, jünger als 25 Jahre. Auch wenn die Zahl der Fälle in den jüngeren Altersgruppen geringer ist, so sei die suizidbedingte Sterblichkeit gerade bei jungen Menschen besonders hoch, teilt das Statistische Bundesamt mit. Bei den unter 25-Jährigen war Suizid im Jahr 2023 die häufigste Todesursache, vor Verkehrsunfällen und Krebs. 18 Prozent aller Todesfälle in diesem Alter waren Suizide.
Im Allgemeinen nimmt die Suizidrate jedoch weiter ab. Im Vergleich zu 2003 ging die Zahl der Suizid-Todesfälle um knapp acht Prozent zurück. Gegenüber 1980 nahm die Zahl um 44 Prozent ab.
„Der erste Schritt sollte immer sein: Hol dir Hilfe“, sagt Prof. Lindner. Also nicht alleine in der aussichtslos scheinenden Situation zu bleiben, sondern sich jemandem anzuvertrauen und über die Suizidalität zu sprechen, also über „die eigene Verzweiflung, die so weit geht, dass man sich töten will“.
Und das hilft? In den meisten Fällen ja, berichtet der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin. „Tatsächlich wenden sich die allermeisten Menschen, die darüber nachdenken, Suizid zu machen, auf die eine oder andere Weise an andere. Und: Sie machen es dann nicht.“ Denn zusammen komme man auf Lösungsoptionen und Verbesserungsmöglichkeiten.
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Es gibt viele Wege, Unterstützung zu bekommen: etwa Beratung, Krisenintervention, Psychotherapie oder auch psychiatrische Behandlung. Dabei komme es auch darauf an, wie akut der Suizidgedanke oder -wunsch ist, so Lindner.
Sein Rat: Wenn es einem sehr schlecht gehe, weil man eine Situation oder ein Problem überhaupt nicht bewältigen kann – etwa weil eine geliebte Person einen verlassen und man das Gefühl hat, ohne diesen Menschen nicht leben zu können –, könne man überlegen: Mit wem kann ich darüber reden, auch im eigenen Umfeld, der nicht in Angst oder Stress verfällt, sondern mit mir auf Augenhöhe darüber sprechen kann, warum ich so verzweifelt bin.
Anonyme Gespräche und Beratung bieten Krisen-Hotlines wie die Telefonseelsorge (0800 1110111 oder 0800 1110222) an. Die Anonymität sei oft sehr hilfreich, so Lindner: „Denn ich kann mit dieser einen Person reden und kann ihr Sachen sagen, die ich sonst niemandem sagen würde.“
Hausärzte und Psychotherapeuten (Sprechstundentermine unter Telefon 116 117 oder online) kommen natürlich auch infrage, und manchmal könnten auch religiöse Ansprechpartner eine Hilfe sein.
Wenn man aber konkret den Suizid plant und dazu gar keinen Abstand finden kann, dann ist das Allerbeste: Man begibt sich in eine psychiatrische Klinik, sagt Prof. Lindner. Das geht über die Notaufnahme oder eine psychiatrische Ambulanz und zu jeder Tages- und Nachtzeit. „Da kann man erst mal mit der aufnehmenden Ärztin und anderen Fachpersonen sprechen und meist bleibt man im Rahmen einer Krisenintervention ein paar Tage da, um sich zu beruhigen und aus der Situation zu gehen.“
Diese Basisversorgung sei in einer akuten Krise „sehr wirksam und hilfreich, dass man überlebt“, so der Experte. In der Psychiatrie kann man sinnvolle nächste Schritte besprechen.
Was genau sinnvoll ist, hänge von individuellen, aber auch von Versorgungsfaktoren ab, erklärt Lindner. „Wenn man auf dem Land mit einer eher schlechten Versorgungssituation und wenig Beratungs- und Psychotherapie-Angeboten lebt, empfiehlt er die Institutsambulanz einer psychiatrischen Klinik, „weil man da auf Leute trifft, die etwas von der Lage, in der man ist, verstehen“.
Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt, Psychiater oder Psychotherapeut. In akuten Krisen helfen die nächste psychiatrische Klinik oder der Notarzt unter 112. Zu jeder Zeit erreichen Sie zudem die Telefonseelsorge kostenfrei unter 0800 1110111 oder 0800 1110222. Krisendienste in Ihrer Region finden Sie etwa bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
Es kann nur ein Gefühl sein oder konkrete Anzeichen: Wenn man sich Sorgen macht und Angst hat, jemand überlegt, sich das Leben zu nehmen, sollte man nicht abwarten. Auch hier gilt: „Der wichtigste Schritt ist, das Gespräch zu suchen“, sagt Lindner. Dabei sollte man die Situation durchaus konkret ansprechen. Davor scheuen sich viele. Aber es sei wichtig, etwa nachzufragen: „Geht es dir schlecht? Hast du manchmal das Gefühl, aufgeben zu wollen?“, so Lindner.