Viele Unternehmen fürchten den Einfluss von neuen Technologien. Bei Statista freut sich Chef Marc Berg hingegen darauf.
Wie viele E-Autos gibt es aktuell in Deutschland? Welches Land hat die höchsten Militärausgaben? Welche Songs wurden im Jahr 2022 besonders häufig gehört? Zu fast jeder Frage liefert die deutsche Plattform Statista entsprechende Statistiken – teils aufbereitet von anderen Quellen, teils selbst erhoben.
Im Interview mit t-online erklärt Chef Marc Berg, warum das in Zeiten von Fake News eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist, wieso er die Veränderungen am Arbeitsmarkt durch KI gut findet und bei welchen Themen er selbst lieber auf seinen Bauch als auf Statistiken vertraut.
t-online: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist Umfragen zufolge aktuell überraschend gut. Woran liegt das?
Marc Berg: Das weiß ich nicht. Ich will mir auch gar nicht anmaßen, für die gesamte Wirtschaft zu sprechen. Aber bei Statista sehen wir die Veränderung durch Künstliche Intelligenz positiv.
Viele Firmen fürchten die Effekte derzeit noch. Was stimmt Sie so optimistisch?
Ich sehe darin ein großes Wachstumsfeld. Wir stehen noch ganz am Anfang, aber es geht unglaublich schnell. In meinen Erstgesprächen mit neuen Mitarbeitern sage ich mittlerweile, dass ich ihnen nicht mehr versprechen kann, dass sie in 12 bis 24 Monaten noch den gleichen Job haben werden, aber ich ihnen dafür versprechen kann, dass es nicht langweilig wird.

Wie reagieren die Mitarbeiter darauf?
Es ist vor allem eine Mentalitätsfrage. Wir suchen nach Leuten, die neugierig sind und mit dieser Dynamik umgehen können. Wir brauchen aber auch Leute, die mehr auf Sicherheit achten, etwa im Accounting und der Compliance. Intern nennen wir das auch die Torhüter-Funktionen, also all jene, die darauf achten, dass uns nichts durchrutscht.
Ist die Angst, durch KI ersetzt zu werden und seinen Job zu verlieren, also übertrieben?
Nein, diese Angst ist nicht unbegründet. Es kann passieren, dass durch den Einsatz von KI sich Jobs verändern oder in manchen Fällen auch ganz entfallen werden. Gleichzeitig war das bei neuen technischen Entwicklungen häufig so. Die Erfindung und Verbreitung des Autos haben auch viele Kutschfahrer ihre Jobs gekostet. Ich bin davon überzeugt: Was die Maschinen bereits können, sollen sie machen, und wir Menschen gewinnen dadurch mehr Zeit, um uns auf all das zu konzentrieren, was die Maschinen nicht können.
Aktuell landet Statista immer weit oben in der Liste, wenn man eine Frage bei einer Suchmaschine eingibt. Ist KI da nicht auch eine Bedrohung für Ihr Geschäftsmodell?
Die Frage hat uns vor 12 Monaten schon intensiv beschäftigt. Immerhin haben wir uns das Vertrauen und die Markenbekanntheit jahrelang erkämpft. Doch viele große KI-Plattformen wie beispielsweise Perplexity haben auch schnell gemerkt, dass ihre Modelle oft auf Statista-Daten zurückgegriffen haben. Jetzt haben wir erste Partnerschaften geschlossen, ermöglichen damit KI-Nutzern bessere Antworten und bekommen gleichzeitig weiter Sichtbarkeit. Und das Wichtigste: Unsere Daten gibt es nicht unbegrenzt kostenlos, ab einer gewissen Anzahl von Suchanfragen ist weiterhin ein Statista-Account notwendig. Das wäre sicher auch ein mögliches Geschäftsmodell für Online-Medien.
Marc Berg hat in St. Gallen und Münster Business Administration studiert. Nach verschiedenen Positionen bei Otto war er von 2016 bis 2018 CEO des Bezahldienstleisters Klarna und von 2018 bis 2022 CEO der Taxi-App Free Now. Es folgte eine Station bei der Allianz, bevor er Ende 2023 an die Spitze von Statista geholt wurde.
Immer wieder unterstellen Politiker und Unternehmenschefs den Deutschen mangelnde Risikofreude und Unternehmergeist. Was braucht es, um in Deutschland wirtschaftlich erfolgreich zu sein?
Die Deutschen haben kein Einstellungsproblem, aber das Umfeld hier macht das Gründen schwer.
Stellt die neue Bundesregierung die richtigen Weichen?
Wenn es da eine einfache Antwort gäbe, wäre es hoffentlich schon umgesetzt. Schnelle Lösungen wird es da nicht geben. So hat Deutschland etwa einen viel geringeren Binnenmarkt als die USA, hinzu kommen die Sprachhürde und viele EU-Regularien. Auch was die Verteilung von Wagnis angeht, stehen deutsche Gründer vor größeren Herausforderungen. Das Silicon Valley ist heute auch so beliebt, weil es über Jahrzehnte zu einer Wissenshochburg gewachsen ist. Das lässt sich nicht über Nacht nachbauen. Für Statista hat das aber sogar eine gute Seite.