Lars Klingbeil und Saskia Esken haben mehr denn je an der SPD-Basis für Schwarz-Rot geworben, doch die Basis der Partei hadert mit ihrer Spitze. Wie steht es um das Mitgliedervotum?
Ein harscher Tonfall im Wahlkampf, das bewusste Inkaufnehmen der Stimmen der AfD und zuletzt die kleine Anfrage zu staatlich geförderten Organisationen – das alles ist nicht spurlos am zukünftigen Koalitionspartner der Union vorbeigegangen. Doch wird es sich auch auf die Zustimmung der SPD zum Koalitionsvertrag auswirken? Beim Mitgliederentscheid können alle Genossen und Genossinnen ihre Stimme abgeben, die bis zum 23. März in die Partei eingetreten sind. Bis 29. April, 23.59 Uhr, läuft der Mitgliederentscheid noch.
Bereits mehrere Landesverbände und der Bundesvorstand der Jusos lehnen den Koalitionsvertrag ab. Sie kritisieren, dass zu wenige gesellschaftspolitische Themen im Vertrag vorkommen und stören sich am Umgang mit dem Thema Migration. Vonseiten der Jusos werden Nachverhandlungen gefordert, die SPD-Spitze hatte diese bereits abgelehnt.
Die Jusos haben zwar keine unbedeutende Stimmkraft, sind jedoch nicht in der Lage, in der Abstimmung eine Mehrheit zu schaffen. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen hatte Juso-Bundesvorsitzender Philipp Türmer bereits die Werbetrommel für Parteieintritte getrommelt, um für das Mitgliedervotum zu mobilisieren. Doch die Sorgen um sozialdemokratische Grundwerte sind nicht unberechtigt. t-online hat sich an der Basis der Sozialdemokraten umgehört.
Matthias Buschfeld ist Fraktionsvorsitzender der Ratsfraktion der SPD Bottrop. Daraus, dass Friedrich Merz nicht sein Wunschkandidat ist, macht er kein Geheimnis. „Wer mit faschistischen Parteien zusammenarbeitet, macht sie salonfähig“, sagt er und spielt auf die umstrittene Bundestagsabstimmung der Union gemeinsam mit der AfD an. Das macht ihm Sorge, sagt er weiter.
„Die Union wäre gut daran bedient, in der demokratischen Mitte zu bleiben“, so Buschfeld. Trotzdem wird er dem Koalitionsvertrag zustimmen, andernfalls fürchtet er einen „Vertrauensverlust in unsere demokratischen Institutionen“.
„Es gibt immer Sachen in einem Koalitionsvertrag, die gut sind und welche, die schlecht sind“, sagt er. Und weiter: „Sie können in einem Koalitionsvertrag nur die absehbaren Entwicklungen bewerten, das sind aktuell nun mal die Migration und die Wirtschaft.“ Deshalb hält er nichts von Nachverhandlungen: „Bei den aktuellen Verhältnissen bleiben uns wenig Alternativen.“
Dass jetzt schon im Vorfeld über den Mindestlohn gestritten wird, stört Buschfeld nicht: „Politische Debatte ist kein schlechtes Zeichen.“ Zuletzt drohte der Generalsekretär der SPD, Matthias Miersch, beim Mindestlohn mit einer Erhöhung per Gesetz. Die Union hatte zuvor angezweifelt, dass es zu einer Erhöhung des Mindestlohns kommen wird. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann lehnte einen „politischen Mindestlohn“ ab.
Die Auseinandersetzungen rund um den Koalitionsvertrag spürt Buschfeld auch in seinem Parteiumfeld: „Es gibt rege Diskussionen in unseren Verbänden und es gibt auch Strömungen, denen das nicht reicht, aber das gehört dazu. Mein Gefühl ist: Ein Drittel der SPD-Mitglieder wird den Koalitionsvertrag ablehnen. So ist Demokratie, auch innerparteiliche.“
Sein Fazit: „Wir haben uns in vielen Bereichen durchgesetzt, das ist ein SPD-Koalitionsvertrag.“ Die Kritik kann er trotzdem verstehen.
Die Möglichkeit, dass es nicht zu einer schwarz-roten Koalition kommt, macht vielen Demokraten Angst – die einzige Partei, die davon wohl profitieren würde, ist die AfD. Unter anderem deshalb dürften auch scharfe Kritiker aus „staatspolitischer Verantwortung“ für den Koalitionsvertrag stimmen.
Denn eine Ablehnung des Koalitionsvertrags würde aller Voraussicht nach Neuwahlen bedeuten. Den aktuellen Umfragen zufolge wäre eine Mehrheit aus Union und SPD nicht möglich. Die vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextrem eingestufte AfD würde nach derzeitigem Kenntnisstand mit der Union gleichziehen. In einer Umfrage des Forschungsinstituts Forsa vom 20. April hatte die AfD die Union sogar überholt.
Und trotzdem: Bei den jungen Sozialisten ist man nicht zufrieden. Die Landesverbände der Jusos folgen dem Bundesvorstand und wollen nicht zustimmen. Was fehlt ihnen im Koalitionsvertrag?
