Papierkram statt Online-Antrag: Die Digitalisierung der Verwaltung hierzulande kommt kaum voran. Der Grund: Es mangelt an etwas Substanziellem.

Stefan Barthel fühlt sich allein gelassen. Der Informatiker leitet das Referat IT/Digitalisierung in Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt und ist für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) in seiner Behörde verantwortlich. Das Gesetz verpflichtet ihn, bis Ende 2022 die Verwaltungsleistungen seiner Stadt über ein Portal auch digital anzubieten. Wie Barthel das schaffen soll, weiß er nicht. Es komme kaum Unterstützung vom Land „zu konkreten Online-Leistungen“, sagt er. So wie ihm geht es vielen Kommunen. Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Eklatante Unterschiede beim Tempo

Das Onlinezugangsgesetz ist 2017 mit dem Ziel verabschiedet worden, dass Bürger und Unternehmen hierzulande bis Ende 2022 alle Anliegen bei Verwaltungsangelegenheiten online erledigen können sollen.

Nur: Weil sich Bund und Länder die Erfüllung der Vorgaben des Gesetzes teilen sollen und mit unterschiedlichen Anwendungen arbeiten, gibt es teilweise eklatante Unterschiede beim Tempo der Umsetzungen.

Das führt dazu, dass Bürger in Berlin ihren Bewohnerparkausweis online beantragen können, Autobesitzer in Sachsen-Anhalt aber nicht. Eltern in Nordrhein-Westfalen können die Geburtsurkunde für ihr Kind über das Internet bestellen, in Mecklenburg-Vorpommern müssen sie die ausgefüllten Unterlagen wie vor dreißig Jahren noch immer per Post an das Amt schicken. Ein Flickenteppich.

Auf Platz eins: Nordrhein-Westfalen

Welche Bundesländer und Kommunen welche Dienstleistungen digital anbieten, lässt sich auf dem sogenannten OZG-Dashboard ablesen. Dort dokumentiert der Bund den Fortschritt der Digitalisierung in den Behörden. Auf Platz eins befindet sich Nordrhein-Westfalen mit 338 von 575 Leistungen. Sachsen-Anhalt ist mit 108 umgesetzten Dienstleistungen auf einem der hinteren Plätze.

Referatsleiter Barthel aus Dessau-Roßlau überrascht das nicht. „Jede Kommune in Sachsen-Anhalt kämpft für sich und vielleicht noch miteinander, aber nicht mit anderen Kommunen in anderen Ländern wie zum Beispiel im benachbarten Sachsen“, sagt er. Dabei sei die Digitalisierung der Behörden ein zentrales Thema, das alle zusammen angehen könnten, wenn es vom Bund gesteuert würde.

Der Bund hat dagegen die Verantwortung für die Erarbeitung von Online-Lösungen an sogenannte Digitalisierungslabore der Länder abgegeben. Dort erarbeiten die Teams, wie die digitalen Anträge aussehen sollten, damit sie von den Bürgern angenommen werden. Das Ergebnis ist dann ein Umsetzungsplan, der Empfehlungen für die Implementierung der digitalen Leistung enthält und beschreibt, wie diese digitale Leistung von anderen Ländern genutzt werden kann. Eine einheitliche Strategie sieht anders aus.

Chaos bei der Schnittstellenanbindung

Eine Nachnutzung von Leistungen durch andere Länder, die in den Digitalisierungslaboren entworfen wird, nennt sich „Einer für Alle“-Prinzip (EfA) und spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des OZG. Die Idee dahinter: Jedes Land soll digitale Leistungen so erstellen, dass andere Länder die Programme anpassen und ebenfalls nutzen können. Wertvolle Entwicklungszeit könne so gespart werden.

Ein Beispiel: Wenn Land A einen Antrag für Wohngeld digitalisiert hat, profitiert Land B davon, weil es keinen eigenen Antrag digitalisieren muss. So weit, so gut. Die Voraussetzung dabei? Die Länder und Kommunen müssten sich laut Bund „nur mittels standardisierter Schnittstellen anbinden“.

Und da liegt laut Barthel aus Dessau-Roßlau ein weiteres Problem: Weil jedes Land und jede Kommune mit „individuellen Fachanwendungen“ arbeite, könne man „die Software nicht einfach an jedes beliebige System anbinden“. Da bräuchte es eine Standardisierung der Software, und deren Erstellung für alle Behörden sei „mindestens sportlich“, sagt der Referatsleiter. Am Ende blicke keiner mehr durch.

OZG nur als Startschuss für die digitale Wende?

Einer, der den Durchblick eigentlich haben sollte, ist Ernst Bürger. Er leitet seit 2020 die Abteilung „Digitale Verwaltung; Steuerung OZG“ im Bundesinnenministerium (BMI). Mit anderen Worten: Der gelernte Jurist ist der OZG-Beauftragte des Bundes und dafür verantwortlich, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben.

Er sagt im Gespräch mit t-online: „Die hohe Heterogenität bei technischer Infrastruktur in den Ländern und Kommunen stellt uns schon seit Beginn der OZG-Umsetzung vor große Hürden.“ Aber dank des Corona-Konjunkturpakets seien ausreichend finanzielle Mittel vorhanden, um die Verwaltungsdigitalisierung ein wichtiges Stück voranzubringen.

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