„Dagobert“ war in den 90er-Jahren ein berühmt-berüchtigter Verbrecher. Vor genau 30 Jahren erfolgte seine Festnahme. Wie lebt es sich heute in Freiheit?

Am 22. April 1994 knallen bei der Berliner Polizei die Sektkorken: Sie hat „Dagobert“ gefasst. Dagobert Duck, die Comicfigur? Nein, „Dagobert“, den Kaufhaus-Erpresser. Jahrelang hatte er die Ermittler, vor allem in Berlin und Hamburg, auf Trab gehalten. Dann erfolgte die Festnahme. Das Urteil: neun Jahre Haft. Inzwischen ist „Dagobert“, bürgerlich Arno Funke, längst wieder frei.

Doch der Fall ging in die Kriminalgeschichte Deutschlands ein. Die Jagd nach dem Verbrecher glich einem Katz-und-Maus-Spiel. Im Mai 1988 war es Funke gelungen, vom berühmten Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe 500.000 D-Mark zu erpressen, ohne gefasst zu werden. Das Geld war schnell ausgegeben – und der Berliner wollte mehr.

Was machte den Fall so spektakulär, wie kam „Dagobert“ damals auf seinen kuriosen Decknamen? Und was macht Arno Funke heute?

Warum „Dagobert“?

Im Juni 1992 detonierte bei Karstadt in der Hamburger Innenstadt eine Rohrbombe. Der Sachschaden war immens. Noch am selben Tag schickte Funke ein Erpresserschreiben an Karstadt, forderte eine Million Mark. Später erhöhte er die Summe auf 1,4 Millionen. Sollte das Geld nicht gezahlt werden, würden weitere Bombenanschläge auf Kaufhäuser erfolgen.

Letztlich gingen sechs Sprengsätze auf Funkes Konto, nachdem mehrere Geldübergaben mit der Polizei gescheitert waren. Es wurden keine Menschen verletzt, doch der Sachschaden betrug insgesamt rund zehn Millionen Mark, wie das „Hamburger Abendblatt“ berichtete. Bei dieser Erpressung wurde auch der Deckname „Dagobert“ geboren.

„Dagobert grüßt seine Neffen“

Ein so berechnender Verbrecher namens „Dagobert“? „Ich hab‘ da ein bisschen gegrübelt und dann sah ich auf meinem Schreibtisch einen Turnbeutel liegen, wo später eigentlich das Geld reinsollte“, berichtete Funke 2022 bei „Spiegel TV“. „Und da war eine Dagobert-Figur drauf. Und dann habe ich gedacht: ‚Na ja, Dagobert grüßt seine Neffen.'“

Dieser Satz gewann in dem Fall große Bedeutung: Funke brachte den Karstadt-Konzern dazu, Zeitungsannoncen zu veröffentlichen, in denen ebendieser Satz stand, um die Zahlungsbereitschaft zu signalisieren. Und bei einem Anruf sagte Funke: „Guten Morgen, hier ist Onkel Dagobert.“ Er drohte den Kaufhäusern: „Es tut mir leid, dass ich Ihre Firma erpressen musste, aber es war nicht anders möglich.“

Die Aufnahme dieses Telefonats kann heute in der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin angehört werden. Drei Tage danach wurde „Dagobert“ in einer Berliner Telefonzelle gestellt, als er neue Anweisungen für die Übergabe von mehr als 1,4 Millionen D-Mark geben wollte.

„Man ist mit Dagobert im Kopf eingeschlafen“

Als sich die Ermittler sicher waren, dass der gelernte Schilder- und Lichtreklamehersteller der Gesuchte ist, observierten sie ihn. Am 22. April 1994 vormittags um kurz vor halb zehn war es so weit: Mit quietschenden Reifen fuhren Zivilautos in der Hagedornstraße in Berlin-Treptow vor, Beamte sprangen aus zwei Fahrzeugen und schrien: „Halt, stehen bleiben, Polizei.“

Der pensionierte Polizist Martin Textor war damals als Abteilungsleiter im Landeskriminalamt (LKA) für den monatelangen und aufwendigen Polizeieinsatz verantwortlich, bei dem rund 3.000 Polizisten Telefonzellen in West-Berlin beobachteten. „Man ist mit Dagobert im Kopf eingeschlafen und mit Dagobert im Kopf aufgewacht“, sagt der heute 79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Letztlich sei es der „kriminalistische Spürsinn“ zweier junger Polizisten gewesen, der zu Funke geführt habe, so Textor.

„Die Luft war raus“

Nicht nur die Polizei kam damals bei der Jagd auf „Dagobert“ beinahe an ihre Grenzen. Auch der Verbrecher selbst. „Dass es sich über zwei Jahre hinzieht, habe ich selbst nicht gedacht“, sagt Arno Funke der dpa. „Die Luft war raus. Ich wollte auch nicht mehr. Aber ich hatte kein Geld“, rechtfertigt sich der inzwischen 74-Jährige.

Zeugen berichteten später, Funke habe bei der Festnahme gelächelt. Er beschreibt den Moment heute so: „Da macht man dicht. Das lässt man über sich ergehen. Das ist wie beim Zahnarzt: Mal sehen, wie schlimm es wird.“ Zuletzt habe er damals darüber nachgedacht, jemanden zu beauftragen, ihn zu verraten – und sich dann mit dieser Person die auf ihn ausgesetzte Geldsumme zu teilen, so Funke.

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