Deutschland gilt in der Nato als Panzerdrehkreuz Europas. Im Ernstfall ist der Transport militärischer Ausrüstung über Schienen, Straßen und Wasserwege entscheidend – doch die marode Infrastruktur steht dem im Weg.
Wer oft auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, hat vermutlich schon einen militärischen Transport oder eine lange Kolonne aus Militärfahrzeugen überholt. Laster, die Kampf- oder Schützenpanzer auf ihrer Ladefläche transportieren, Fahrzeuge in Tarnfarben und sogar Radpanzer sind seit dem russischen Angriff auf die Ukraine keine Seltenheit mehr auf deutschen Straßen.
Die Nato rüstet sich. Militärisches Gerät muss aus dem In- und Ausland seinen Weg zu Übungen finden – oder im Ernstfall gen Osten verlegt werden. Aufgrund seiner geografischen Lage kommt Deutschland bei der militärischen Mobilität der Nato eine wichtige Rolle zu. Doch es gibt ein Problem: Die Infrastruktur in Deutschland ist veraltet. Gefährdet das die Sicherheit Europas? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum „Panzerdrehkreuz Deutschland“.
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Der offensichtlichste Grund fällt beim Blick auf eine Landkarte des europäischen Kontinents sofort ins Auge: Deutschland liegt im Herzen Europas und ist zudem ein flächenmäßig großes Land. Für die militärische Mobilität bedeutet das: Wollen Armeen aus Nato-Staaten an internationalen Truppenübungen teilnehmen, führt sie ihr Weg mit großer Wahrscheinlichkeit durch Deutschland.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 ist diese Rolle als Transitland noch wichtiger geworden: Im Verteidigungs- oder Bündnisfall plant die Nato, große Truppenverbände an ihre Ostflanke zu verlegen – etwa ins Baltikum, nach Finnland oder nach Rumänien. Der Transport soll per Straße, Schiene, See- und Luftweg erfolgen. Auf dem Landweg müssen diese Einheiten Deutschland passieren und entsprechend logistisch unterstützt werden.
Diese Pflicht zur Unterstützung verbündeter Truppen ist per Nato-Truppenstatut im sogenannten Host Nation Support (HNS) geregelt. Als Mitgliedsland im Militärbündnis ist Deutschland demnach verpflichtet, alliierte Streitkräfte während ihres Transits oder Aufenthalts in der Bundesrepublik zu unterstützen – durch die Versorgung mit Kraftstoff und Verpflegung, durch militärische Begleitung sowie weitere Sicherheitsleistungen.
Innerhalb der Nato ist das Joint Support and Enabling Command (JSEC) für Truppen- und Materialtransporte zuständig. In dieser Rolle stellte JSEC Anforderungen an die Bundesrepublik, die in den „Operationsplan Deutschland“ eingeflossen sind. Der geheime Plan soll seit Ende März fertiggestellt sein. JSEC bezeichnet den Plan auf Anfrage von t-online als „sehr wertvollen Beitrag für die Gesamtverteidigung der Nato“.
Damit Deutschland diese Unterstützungsaufgaben leisten kann, ist die entsprechende Infrastruktur wichtig. Eisenbahn- und Straßenbrücken müssen nicht nur zivile Zwecke erfüllen, sondern auch militärisch nutzbar sein – so werden die Bauten zu sogenannter Dual-Use-Infrastruktur (DUI). Der Begriff „Dual Use“ bezeichnet Produkte, Software oder Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.
Dual-Use-Infrastrukturen umfassen Straßen, Bahnstrecken, Wasserstraßen, Häfen, Flughäfen sowie deren digitale Steuerungs- und Kommunikationssysteme. Sie müssen so gestaltet sein, dass sie sowohl den Anforderungen des zivilen Personen- und Güterverkehrs als auch militärischen Einsätzen genügen. Dazu gehören tragfähige Brücken für schwere Fahrzeuge, ausreichend große Tunnel, passende Umschlaganlagen an Häfen und Flughäfen, sichere Kommunikationsverbindungen und ein hoher Schutz vor Angriffen.