An diesem Dienstag hat Angela Merkel ihre Memoiren veröffentlicht. Ein Buch, auf das viele gewartet haben. Bei der Premiere wird jedoch das eigentliche Erbe der Altkanzlerin deutlich.

Es dauert kaum zwei Minuten, bis Angela Merkel zeigt, was die Deutschen lange an ihr geschätzt haben. Die Journalistin und ehemalige TV-Moderatorin Anne Will fragt die Altkanzlerin, ob ihr autobiografisches Buch eigentlich ein Versuch sei, die Deutungshoheit über ihr Leben zu behaupten. Ob sie sich während ihrer Zeit als Kanzlerin immer richtig verstanden gefühlt habe.

Merkel verzieht kurz den Mund, bevor sie antwortet: „Guten Abend erst mal.“ Ein kurzes Lachen geht durch den Raum, die Stimmung lockert sich. Sie führt ein wenig aus, sagt, dass sie damals über manches nicht so erzählen konnte, wie sie gerne gewollt hätte. Außerdem habe man ihr ja auch oft vorgeworfen, nicht genug zu erklären, was sie tue. Will unterbricht: „Stimmte aber gar nicht?“ Merkel erwidert: „Naja, für mich war’s klar.“ Wieder geht ein Lachen durch den Raum.

Eigentlich ist es ein schwerwiegender Kritikpunkt, dass die Kanzlerin ihre Politik den Menschen über Jahre kaum nahegebracht hat. Merkel könnte darauf auch anders reagieren, schwerfälliger oder gar gereizt. Stattdessen antwortet sie an diesem Abend mit einer gewissen Leichtigkeit.

Seit Jahren diskutiert die deutsche Öffentlichkeit über das Erbe von Angela Merkel. Was ist denn nun ihr Vermächtnis? Und hat sie überhaupt eins? Einerseits, so heißt es, habe die Kanzlerin den Deutschen lange den Eindruck vermittelt, die Dinge würden gut funktionieren. So habe sie ihrer Partei, der CDU und auch der CSU, immerhin 16 Jahre lang das Kanzleramt gesichert. Andererseits, so betonen ihre Kritiker gerne, sei unter ihr auch vieles liegen geblieben. Seit die Union 2021 in die Opposition gehen musste, wird ihr das vonseiten der Ampel-Parteien gerne und oft vorgeworfen.

Anne Will und Angela Merkel auf der Bühne im Deutschen Theater: Als die Journalistin nach und nach eine Reihe von Kritikpunkten aufzählt, verzieht die Altkanzlerin keine Miene. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-tmn)

Am Dienstagabend zeigt die Altkanzlerin, dass es nicht ihre politischen Entscheidungen waren, die sie über viele Jahre bei den Deutschen beliebt gemacht haben. Vielmehr ist es eine Eigenschaft, die weder Olaf Scholz noch Friedrich Merz besitzen: ihre unprätentiöse Art. Merkel gelingt es, als promovierte Physikerin in einfachen Worten zu sprechen. Sie doziert nicht, sondern wirkt bemüht, sich so auszudrücken, dass es jeder versteht. Ihr Witz wirkt manchmal fast ungewollt, und in keinem Moment erweckt die Altkanzlerin den Eindruck, von oben herab zu reden.

Es geht an diesem Abend durchaus auch um die Fehler von Angela Merkel. Um die Herausforderungen, die ihre Flüchtlingspolitik mit sich gebracht hat. Um ihre bescheidenen Klimaziele. Auch um die heruntergewirtschaftete Bundeswehr. Eine ganze Reihe von Kritikpunkten wird angesprochen. Merkel verzieht keine Miene, als Will sie nach und nach aufzählt. Dann sagt sie: „Dieses Buch soll wirklich nicht den Eindruck erwecken, ich würde mit meinem Ausscheiden aus dem Amt das ideale Deutschland hinterlassen.“

Unaufgeregt beginnt Merkel, sich zu erklären. Sie erinnert daran, dass es auch Krisen in ihrer Zeit gab, die das Regieren erschwerten. Darunter die Eurokrise oder die Corona-Pandemie. Sie sagt das nicht trotzig, aber bestimmt. Man merkt, die Altkanzlerin ist bei aller Kritik überzeugt davon, wie sie gehandelt hat. Über die Kritik an ihrer Amtszeit sagt sie: „Wenn es hilft, dann soll man sagen: Merkel war’s.“ Über die Fehler anderer? Schweigt sie lieber.

Eigentlich wirkt Merkel an diesem Abend ähnlich uneinsichtig wie Olaf Scholz nach seinem Ampel-Bruch. Die Art und Weise, wie sie darüber und über ihre Widersacher spricht, unterscheidet sie jedoch fundamental von dem SPD-Kanzler und vielen anderen Männern, die sich gerne in ihre Fußstapfen stellen. Merkel wirkt weder frustriert noch besserwisserisch. Sondern unaufgeregt. Immer wieder wird das vom Publikum im Saal mit Applaus goutiert.

Womöglich war es also genau das, was die CDU-Kanzlerin über 16 Jahre ausgemacht hat und woran man sich noch lange gerne erinnern wird. Gleichwohl bleibt am Ende ihr Unwille, sich öffentlich selbstkritisch zu reflektieren. Auch er wird das politische Erbe der Kanzlerin prägen.

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