Ist Deutschland bereit für eine radikal veränderte Welt? Nicht, wenn es die Lösungen in seiner Vergangenheit sucht, warnt ein junger Journalist bei „Markus Lanz“.
Beim Blick auf die weltpolitische Lage setzt sich bei vielen Analysten der Eindruck durch, dass es für den liberalen Westen ums Ganze geht und die Demokratie selbst bedroht ist. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, Politikern wie Donald Trump oder Wladimir Putin und dem Einfluss von Tech-Milliardären diskutierte Markus Lanz am Donnerstagabend mit seiner Talkrunde, wie Deutschland und Europa dieser historischen Herausforderung begegnen können.
- Jan van Aken, Parteivorsitzender Die Linke
- Mariam Lau, „Zeit“-Journalistin
- Frank Sauer, Politikwissenschaftler
- Fritz Espenlaub, Podcaster
Der Linken-Chef Jan van Aken verteidigte bei seinem Auftritt die Positionen seiner Partei zur Ukraine und erklärte, warum er keine weiteren Waffen an das angegriffene Land liefern würde. Zwar sei auch in der Linken allen klar, dass die Schuld und die Verantwortung für die Kampfhandlungen beim russischen Präsidenten liegen. Man habe aber auch die Pflicht, über die momentane Situation hinauszudenken und sich diplomatisch für den Frieden einzusetzen. „Ich will nicht 50 Jahre im Krieg leben“, sagte der Politiker zu seinen Befürchtungen hinsichtlich der möglichen Folgen einer konsequenten Militarisierung des Konflikts.
Vor diesem Hintergrund verteidigte van Aken auch das umstrittene Manifest aus den Reihen der SPD-Parteilinken, in dem Gespräche mit Moskau angemahnt und eine militärische Alarmrhetorik sowie riesige Aufrüstungsprogramme kritisiert werden.
Wäre er in Regierungsverantwortung, würde er der Ukraine keine einzige weitere Waffe zukommen lassen, stellte der Linke-Politiker klar. Stattdessen schlug er vor, die Kriegskasse des Kremls zu leeren, indem man Putins Schattenflotte lahmlegt und den russischen Ölhandel einschränkt.
Eine gegenwärtige russische Bedrohung für Deutschland und die europäischen Nato-Staaten stritt van Aken ab. „In den letzten dreieinhalb Jahren hat der Kreml alles getan, um bloß nicht in eine direkte militärische Konfrontation mit Nato-Soldaten zu geraten“, konstatierte van Aken. Gelegenheiten dazu habe es durchaus gegeben.
Die „Zeit“-Journalistin Miriam Lau interpretierte sowohl van Akens Äußerungen als auch das Positionspapier einiger linker Sozialdemokraten als Ausdruck einer gescheiterten rückwärtsgewandten Mentalität, die Entscheidendes übersehe. Selbst in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion während des Kalten Krieges, auf die so oft Bezug genommen werde, habe man auf eine starke Bundeswehr und einen starken Partner USA vertraut, so Lau.
Auch der Politologe Frank Sauer warnte vor der trügerischen Hoffnung, die Geschichte einfach so wiederholen zu können. Vielen sei weiterhin nicht klar, dass sich Putins Russland grundlegend von der späten Sowjetunion unterscheidet. Während diese ein saturierter Status-quo-Akteur gewesen sei, handle es sich beim Russland der Gegenwart um ein imperiales Projekt. Die alten Ansätze seien hinfällig, denn man habe es jetzt mit jemand anderem zu tun, erklärte der Experte für Sicherheitspolitik.
Der junge Journalist Fritz Espenlaub ging mit seiner Kritik noch weiter. „Es gibt ja kaum einen klareren moralischen Konflikt als den Ukraine-Krieg“, stellte der „Der KI-Podcast“-Host fest. Er sei kein Fan des SPD-Papiers, das voller Binsenweisheiten stecke, und frage sich, wie man nach über drei Jahren noch immer auf solchen akademischen Standpunkten beharren könne. „Ich hab‘ da kein Verständnis dafür“, sagte Espenlaub.
Man dürfe vor den Gefahren und der Dringlichkeit des Moments nicht die Augen verschließen. „Wenn ich nach Hause komme und ich sehe, in meinem Wohnzimmer steht jemand mit einem Baseballschläger und zertrümmert mein Mobiliar, dann ist nicht meine erste Reaktion, ein Manifest darüber zu schreiben, was für einen Mahagoni-Schreibtisch ich mir in zehn Jahren mal zulegen möchte“, so der Journalist.
Er habe eigentlich „gar keinen Bock“, über das Papier zu reden, das sich mehr mit der Vergangenheit als mit der Aktualität befasse. Die darin vertretenen Lösungsansätze hätten für einen gewissen historischen Abschnitt funktioniert, der hinter uns liege. Da reiche es nicht mehr, Antworten aus einer „kompliziert entwickelten deutschen Seele, die wir 70 Jahre aufgebaut haben“, zu geben.