Olaf Scholz hat ihn rüde rausgeschmissen. Oder hat Christian Lindner seinen Rausschmiss bewusst provoziert? Beides stimmt. Konsequenz ist die Neuwahl. Und das ist gut so.

Wenn Sie meine Kolumnen hier bei t-online schon öfter gelesen haben, erinnern Sie sich vielleicht, dass ich mit Christian Lindner und der FDP sehr kritisch ins Gericht gegangen bin. Als Lindner Anfang dieses Jahres zum ersten Mal die „Wirtschaftswende“ propagierte, an der in der vergangenen Woche die Regierung gescheitert ist, stufte ich das als „mäkelnde Forderung unter vielen im langwierigen Beziehungskrieg der Ampelpartner“ ein. In einem anderen Beitrag hielt ich der FDP vor, dass sie den politischen Liberalismus, eine ihrer geistesgeschichtlichen Wurzeln, vernachlässige. Sie komme jetzt ganz als Lobbyorganisation von Unternehmern und reichen Erben daher.

Eine „Wachstumsinitiative“ sollte im Sommer die Wirtschaftswende konkretisieren. Lindner warf sich in Pose und behauptete, dieses Programm werde Deutschland aus der Rezession helfen. Mein Urteil lautete: Nein, das ist nur ein 31 Seiten langer Wunschzettel, der kein Problem löst. Und als die inzwischen in Panik geratenen Liberalen kurz vor den Wahlen im Osten seltsame Forderungen aufstellten, zum Beispiel kostenloses oder günstiges Flatrate-Parken in der Innenstadt, stand über meiner Kolumne der Titel: „Hat die FDP den Verstand verloren?“

Also, ich gehöre nicht zum engeren Kreis der Friends of Christian. Nach den turbulenten Tagen des Koalitionsbruchs sehe ich allerdings Anlass, mein Urteil über Christian Lindner zu revidieren. Oder besser: den Lindner des Herbstes 2024 neu und anders zu beurteilen als den Ampelmann der vergangenen drei Jahre. Sowohl politisch als auch persönlich.

Zunächst politisch. Ich formuliere es einmal pathetisch: Deutschland ist Christian Lindner einen Dank schuldig. Weil er mit einer regierungsunfähigen Regierung Schluss gemacht hat. Doch, er war’s, auch wenn Lindner selbst darauf beharrt, dass es Scholz war. Der hat ihn schließlich rausgeschmissen. Aber Lindner hat diesen Rausschmiss provoziert. Wenige Tage vor den entscheidenden Haushaltsberatungen der Koalition schickte er Scholz und Habeck ein 18 Seiten langes Papier, in dem er seine Wirtschaftswende auf den Punkt brachte. Genauer: auf drei Punkte.

Lindner forderte Einschnitte beim Bürgergeld, bei der Rente und andere Sparmaßnahmen im Sozialetat. Olaf Scholz hatte sich aber im Bundestag und auf dem SPD-Parteitag persönlich dafür verbürgt, dass es mit ihm als Kanzler keinen Sozialabbau geben werde. Von Habeck verlangte Lindner einen radikalen Kurswechsel beim Klimaschutz. Natürlich war ihm klar, dass der grüne Klimaminister in dieser Frage so wenig kompromissfähig war wie Scholz im Sozialen. Obendrein sollten sich die Partner mit der Schuldenbremse, die inzwischen zum Markenkern der Liberalen wurde, endlich abfinden.

In diesem Papier zeigte Lindner die Sollbruchstellen der rot-gelb-grünen Regierung auf. Der Finanzminister und FDP-Chef wollte offenkundig raus aus der Koalition. Nur die Details – Weg und Zeitplan – waren noch offen. Angesichts der Wirtschaftskrise, in der Deutschland steckt, angesichts der internationalen Herausforderungen von Trump bis Nahost, angesichts der internen Lähmung der Ampel war diese Grundentscheidung richtig. Geradezu eine Erlösung.

Für Olaf Scholz war es Verrat. Sie haben sein Statement gesehen und gehört, nachdem es am Mittwochabend zum endgültigen Bruch gekommen war: Der Abkanzler nannte Lindner kleinkariert, egoistisch, verantwortungslos. Kompromisse habe er immer wieder „sachfremd“ blockiert, ihm sei es nicht um das Land gegangen, sondern nur um die eigene Klientel. Wenn Sie mit Ihrem Chef drei Jahre lang eng zusammengearbeitet haben, wenn Sie gemeinsam Krisen durchlebt haben, wenn Sie sich gegen Angriffe von außen wehren mussten – und wenn unterschiedliche Auffassungen am Ende doch zur Trennung führen, wünschen Sie sich dann einen Chef wie Scholz, der Sie vor aller Öffentlichkeit niedermacht?

Das war übrigens keine Wutrede, aus der Emotion des Augenblicks heraus. Der Kanzler hat die 14 Minuten lange Abrechnung vom Teleprompter abgelesen, Wort für Wort. Das heißt: Dieser Text war vorbereitet, von langer Hand. Wem eine solche Behandlung widerfährt, der genießt meine spontane Solidarität, egal in welcher Partei er ist. Auch wenn er Christian Lindner heißt und selbst nicht gerade zum demütigen Auftritt neigt.

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