Die Bundesregierung hat längst zurückgerudert, doch die Wut der Bauern ist ungebrochen: Noch immer blockieren sie Deutschlands Straßen. Verspielen die Landwirte ihre Unterstützung in der Bevölkerung?
Noch genießen die protestierenden Bauern die Zustimmung der Bürger: Laut einer Umfrage des „Stern“ haben vier von fünf Deutschen Verständnis für die Straßenblockaden. Die gehen derweil weiter, obwohl die Bundesregierung bereits vergangene Woche ihre angekündigten Subventionskürzungen weitgehend zurückgenommen hat.
Die Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge wird nicht kommen und die Subvention für Agrardiesel wird nur schrittweise abgeschafft. Doch die Bauern bleiben bislang unbeirrt bei ihrer Haltung. Darüber, wie sich das auf die öffentliche Unterstützung für sie auswirkt und warum die Bauernproteste beliebter sind als die Aktionen der „Letzten Generation“, spricht Protestforscherin Julia Zilles vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen im Interview mit t-online.
Video | „Letzte Generation“ provoziert mit Bauern-Protest
Quelle: Reuters
t-online: Frau Zilles, 81 Prozent der Deutschen haben Verständnis für die Straßenblockaden der Bauern. Überrascht Sie diese Zahl?
Julia Zilles: Ich hatte auch den Eindruck, dass die Zustimmung in der Bevölkerung groß ist. Deshalb überrascht mich das nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass diese Zahl ganz schnell wieder abnimmt, weil ja die Hauptforderungen der Proteste schon vor der Protestwoche umgesetzt waren.
Die Bundesregierung ist den Forderungen des Bauernverbandes weit entgegengekommen. Trotzdem protestieren die Landwirte weiter. Riskieren sie die Unterstützung der Bevölkerung?
Wenn die Bauern weiterhin bei diesen großen Blockaden bleiben, wird die Unterstützung in der Bevölkerung abnehmen. Die Bauern haben schon viel erreicht und dafür gibt es sicherlich auch hohe Zustimmung.
Die Bauern wollen, dass die Bundesregierung die schrittweise Abschaffung der Agrardieselsubventionen komplett zurücknimmt.
Ich glaube nicht, dass es für diese Partikularforderung dauerhaft eine breite Mehrheit gibt. Die hohe Zustimmung der Menschen zu den Blockaden wird abnehmen.
Im Gegensatz zu den Bauern ist die Unterstützung der Bevölkerung für die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ extrem niedrig. Wie erklären sie sich diese unterschiedlichen Bewertungen der beiden Bewegungen?
Das hängt auch mit der Stoßrichtung der Proteste zusammen: Die Bauern richten sich gegen konkrete, als ungerecht wahrgenommene Maßnahmen und setzen die Politik unter Druck, diese zurückzunehmen. Anscheinend fällt es der Bevölkerung leichter, sich hiermit zu solidarisieren. Die „Letzte Generation“ hingegen möchte die Politik zu mehr Maßnahmen drängen. Maßnahmen, die auch Einzelne einschränken, zum Beispiel das Tempolimit. Dazu kommt ein allgemeiner Transformationsdruck, der in Teilen der Bevölkerung grundsätzlich auf Ablehnung stößt, die keinen Wandel möchten.
Die Bauernproteste sind also auch ein Ergebnis allgemeiner Unzufriedenheit mit der Ampel?
Diese Unzufriedenheit kam zumindest zum Ausdruck. Es protestieren ja nicht nur Menschen aus dem Agrarsektor, sondern auch andere Berufsgruppen, zum Beispiel Handwerker. Auch rechte Gruppierungen mobilisieren mit und nutzen die Proteste als Bühne. Die Unzufriedenheit mit Veränderungen macht sich jetzt sehr an der Ampel-Politik fest. Letztlich wäre aber wohl jede Regierung in der Kritik, die die Klimaziele ernst nimmt und gleichzeitig sparen muss.
Es gab wiederholt Berichte über rechtsextreme Gruppen, die die Proteste unterwandern. Radikalisiert sich die Bauernszene gerade?
Es ist generell eine Strategie von Akteuren im rechten Milieu, sich an gesellschaftlich anerkannte Themen zu heften. Ich bin skeptisch gegenüber dem Begriff Unterwanderung. Das suggeriert, dass eine Gruppe von innen heimlich übernommen wird. In den letzten Tagen wurden rechte Symbole ja offen gezeigt, rechte Gruppen waren im ganzen Land auf den Protesten sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass die Bauern und Bäuerinnen sich davon abgrenzen, wie es auch die Verbände und einzelne Personen schon tun. Das bleibt aber eine Herausforderung und ein offener Prozess.