Plötzlich kommt alles auf den Tisch: Bei Volkswagen wird über Gehaltskürzungen und Standortschließungen verhandelt. Die Probleme gibt es schon länger. Woher kommt die neue Dringlichkeit?

Bei Volkswagen soll der Gürtel enger geschnallt werden: Werksschließungen, Stellenabbau und Gehaltskürzungen stehen im Raum. Hintergrund sind schwache Quartalszahlen und zunehmender Druck aus China.

Die Vehemenz, mit der Konzern, aber auch Politik und Gewerkschaft auf einmal verhandeln, überrascht. Denn die Schwierigkeiten des Konzerns haben sich schon länger abgezeichnet.

Im Zuge der zweiten Tarifrunde mit der IG Metall hat Volkswagen nun erste Details zu den Sparplänen bekannt gegeben. Verhandlungsführer und Marken-Personalvorstand Arne Meiswinkel verkündete die VW-Forderung, die Tariflöhne um zehn Prozent zu senken. Mehr dazu lesen Sie hier.

Getrieben sind all diese Vorschläge vom erklärten Sparziel: Bis 2026 sollen die Kosten bei der Kernmarke VW nachhaltig um zehn Milliarden Euro sinken und somit die Rendite steigern. Doch davon ist das Unternehmen derzeit weit entfernt.

Die Verhandlungsführer Thorsten Gröger (IG Metall, links) und Arne Meiswinkel (Volkswagen, rechts) begrüßen sich im Saal per Handschlag. (Quelle: Julian Stratenschulte/dpa/dpa-bilder)

Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf ein Dokument berichtet, das der VW-Vorstand vor der Tarifrunde mit der Betriebsratschefin Daniela Cavallo geteilt hatte, sollen allein die vorgeschlagenen Gehaltskürzungen jährlich knapp 800 Millionen Euro einbringen. Würden weitere Bonuszahlungen und Zuschläge gestrichen, käme ein Betrag von insgesamt etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr zusammen. Zusätzlich müsste aber noch in den Jahren 2025 und 2026 bei den Tarifverhandlungen eine Nullrunde vereinbart werden.

Im selben Papier rechnet der Vorstand auch die Einsparungen durch mögliche Werksschließungen vor. Derzeit gelten die Werke in Osnabrück, Dresden, Emden und Zwickau als gefährdet. Laut dem „Handelsblatt“-Bericht geht VW von einer Ersparnis von 600 Millionen Euro jährlich aus, sollte das Unternehmen die Produktion in Emden mit 8.000 Beschäftigten einstellen. Im deutlich kleineren Werk in Osnabrück winkt ein Einsparpotenzial von rund 130 Millionen Euro.

Konkrete Werksschließungen standen zum Verhandlungsauftakt der zweiten Runde am Mittwoch mit der IG Metall zunächst nicht zur Diskussion. Neben den Gehaltskürzungen nannte VW der Gewerkschaft aber noch andere mögliche Maßnahmen wie die Kürzung von Ausbildungsplätzen, berichtete am Mittwoch IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger. „Diese Giftliste, die Volkswagen uns da vorgelegt hat, die ist relativ lang.“

Die Forderungen des Unternehmens lesen sich wie die Reaktion auf eine plötzliche, tiefe Krise. Gut in die Argumentation passen da auch die letzten Quartalszahlen. So sackte der Gewinn im Zeitraum von Juli bis September im Vergleich zum Vorjahr um 64 Prozent auf 1,58 Milliarden Euro ab. „Dies zeigt den dringenden Bedarf von erheblichen Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen“, sagte Finanzchef Arno Antlitz.

Der Umsatz hingegen lag nur knapp unter dem Vorjahresniveau. Zur Wahrheit gehört außerdem: 2023 war nach den Corona-Jahren ein deutlich stärkeres Absatzjahr, die Fallhöhe in diesem Quartal dadurch besonders hoch.

Gibt es also gar keine Krise? Doch, aber es ist komplexer, als es in der aktuellen Debatte scheint. Und vor allem reichen die Probleme schon länger zurück. So hat es Volkswagen in den vergangenen Jahren nie geschafft, an die Verkaufszahlen vor der Pandemie anzuschließen. Im Jahr 2019 verkaufte das Unternehmen 10,97 Millionen Fahrzeuge. Die Zahl sackte auf 8,26 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2022 ab. Im Jahr 2023 waren es 9,24 Millionen Fahrzeuge. Für dieses Jahr rechnet der Konzern jetzt mit 9 Millionen Wagen.

Hinzu kommt: Die Marge bei Volkswagen ist verhältnismäßig niedrig. In den ersten neun Monaten 2024 lag die operative Marge bei 5,6 Prozent. Im Jahr 2023 waren es noch 7 Prozent. Doch auch das ist weniger als bei der Konkurrenz. Zum Vergleich: Bei BMW lag die operative Marge im Jahr 2023 bei 9,8 Prozent, bei Mercedes-Benz waren es 12,6 Prozent.

Diese Zahlen waren intern und extern bekannt. Bereits im Sommer warnte VW-Markenchef Thomas Schäfer deshalb: „Der Dachstuhl brennt.“ Die Gründe dafür sind vielfältig, wer letztlich die Schuld an der schwierigen Lage bei VW trägt, ist umstritten.

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