In den Umfragen steht die FDP schlecht da. Den Parteitag in Berlin aber stört das kaum: Die Stimmung ist gut und Parteichef Lindner legt einen gefeierten Auftritt hin. Das liegt vor allem an einem Thema.
Sarah Zickler kramt in ihrer Tasche. „Hier“, sagt sie und zieht ein türkises Stück Stoff hervor, „hab‘ ich extra drucken lassen.“ Sie faltet ein T-Shirt auseinander, „12 Punkte zur Wirtschaftswende“ steht drauf. Sie zeigt die Rückseite, „da ist auch noch was“: Stichpunktartig hat sie festgehalten, was nach dem Willen der FDP für mehr Wirtschaftswachstum sorgen soll, von A wie „Anpassung des Einkommensteuertarifs“ bis R wie „Rente liberalisieren“.
Zickler ist eine von 662 Delegierten, die an diesem Wochenende zum Bundesparteitag der FDP nach Berlin gereist sind. Mitten in Kreuzberg, in einem stillgelegten Postbahnhof, der heute eine große Eventlocation ist, geht es zwei Tage lang fast ausschließlich um das, was auf Zicklers T-Shirt zu lesen ist: eine neue Wirtschaftspolitik, die die Parteispitze in den vergangenen Wochen und Monaten zur „Wirtschaftswende“ hochgejazzt und in jenen zwölf Punkten zusammengefasst hat.
An der Basis kommt das an. „Von dem, was der Parteivorstand da aufgesetzt hat, bin ich echt begeistert“, sagt Zickler. Was man ihr auch ansieht. Die Unternehmerin, selbst Kandidatin fürs Europaparlament, strahlt, ihre Augen glitzern, wenn sie spricht. „So etwas hat uns echt gefehlt. Es tut uns gut, endlich wieder das ins Zentrum zu rücken, was uns auszeichnet: Wirtschaft, Wachstum, Wohlstand. Das ist FDP pur.“ (Mehr zum Zwölf-Punkte-Plan der FDP für die Wirtschaft lesen Sie hier.)
Lindner spricht mehr als 70 Minuten
So wie Zickler klingen viele, mit denen man sich derzeit bei den Liberalen unterhält. Die FDP, so scheint es, ist sich dieser Tage selbst genug: am Rande der politischen Todeszone, in Umfragen zwischen vier und sechs Prozent – aber trotzdem sehr zufrieden mit dem eigenen Auftreten. Die Puzzleteile „Wirtschaft“ und „liberal“ passen hier so gut wie bei der SPD „sozial“ und „Staat“. Endlich, sagen viele, konzentriere man sich wieder auf den Kern, hinter dem sich alle vereinen können.
Und damit sich das noch besser anfühlt, das Ganze noch größer wirkt, bedeutsamer, schieben fast alle hinterher: Das braucht das Land jetzt schließlich auch. Früher oder später werden das auch die Wähler verstehen, dann schlägt sich das auch in den Umfragen nieder, ihr werdet schon sehen.
Parteichef Christian Lindner liefert in seiner Rede am Samstag nur indirekt eine Antwort. Mehr als 70 Minuten spricht er. Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt, immer wieder gibt es lauten Zwischenapplaus, es wird gejohlt und jauchzend gepfiffen. „Wir dürfen die Weckrufe zu unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht überhören“, ruft Lindner. Es helfe „kein Gesundbeten“. „Was wir benötigen, ist ein nüchterner Realismus.“
„Wirtschaftliche Stärke ist ein Faktor der Geopolitik“
Zwischendurch blendet Lindner auf den großen LED-Screens Grafiken ein, die den Rückgang des erwartbaren Wirtschaftswachstums zeigen sowie Deutschlands Fall von Platz sechs auf Platz 22 im internationalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit. Fast wie in einer Vorlesung für Volkswirtschaftslehre wirkt das, nur der rote Laserpointer fehlt noch.
Doch die „Wirtschaftswende“, auf die Lindner die Delegierten einschwört und die sie per Leitantrag später beschließen wollen, ist mehr für die FDP. „Wirtschaftliche Stärke ist ein Faktor der Geopolitik“, erklärt Lindner. Ohne sie werde Deutschlands Wort nie wieder das Gewicht in der Welt haben, das es angesichts von Krieg und Krisen brauche.
Und: Eine florierende Wirtschaft sei die Voraussetzung dafür, dass es nicht zu gesellschaftlichen Verteilungskämpfen komme und die Demokratie von Populisten nicht erfolgreich infrage gestellt werden könne. Auf ein Lieblingsprojekt der Grünen anspielend sagt Lindner: „Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann“ – und löst damit tosenden Applaus aus.