Verteidigungsminister Boris Pistorius stellt sich nicht als Kanzlerkandidat der SPD zur Verfügung, sondern will Olaf Scholz unterstützen. Der Wahlkampf könnte dennoch schwer werden, schätzt ein Experte.
Die tagelange Debatte unter den Sozialdemokraten ist beendet: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eine SPD-Kanzlerkandidatur ausgeschlossen und zugleich seine Unterstützung für Amtsinhaber Olaf Scholz erklärt. Er habe der Partei- und Fraktionsspitze mitgeteilt, dass er „nicht zur Verfügung stehe für die Kandidatur um das Amt des Bundeskanzlers“, sagte Pistorius in einem am Donnerstagabend veröffentlichten Video an die SPD-Mitglieder.
Video | Pistorius verzichtet auf Kanzlerkanditatur
Doch was bedeutet das nun für den anstehenden Wahlkampf? Der Strategie- und Kommunikationsexperte Cornelius Winter erwartet nach dem Verzicht von Boris Pistorius in der K-Frage der SPD „einen klaren programmatischen Wahlkampf“.
In diesem müssten Person und Programm „so überzeugend wie möglich in Einklang gebracht werden“, sagte Winter t-online. „In der SPD sind das vor allem die Fragen von Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Mit Scholz sollte ein solch breit angelegter Themenwahlkampf möglich sein. Er hat die Kondition dafür schon einmal bewiesen“, so Winter weiter.
Die Diskussion um den SPD-Kanzlerkandidaten hatte nach dem Bruch der Ampelkoalition Anfang November an Fahrt aufgenommen. Hintergrund sind niedrige Umfragewerte für die SPD und insbesondere für Scholz. Deshalb hatten sich in den vergangenen Tagen immer mehr Parteivertreter dafür ausgesprochen, mit dem deutlich populäreren Pistorius an der Spitze in den Wahlkampf zu ziehen. Diese Diskussion beendete Pistorius mit seinem Video nun.
Gleichzeitig bekräftigte der SPD-Minister: Scholz sei „der richtige Kanzlerkandidat“. Er habe eine schwierige Koalition aus drei Parteien durch die vielleicht größte Krise der vergangenen Jahrzehnte geführt. „Olaf Scholz steht für Vernunft und Besonnenheit.“ Das sei in Krisenzeiten wie diesen besonders wichtig.
Auch Experte Winter stellt darauf ab. „Olaf Scholz ist ein Kandidat, der das Spiel der Mächtigen beherrscht. Der sich angesichts der geopolitischen Krisen auf dem internationalen Parkett zu bewegen weiß.“ Und: Scholz habe die SPD schon einmal ins Kanzleramt geführt, „dafür sind ihm viele Sozialdemokraten dankbar“, so Winter. „Dass er entgegen der Umfragen gewinnen kann, daraus zieht Scholz viel Motivation“, sagte er.
„Es gab auch immer wieder Momente, in denen man sich mehr von dem kämpferischen Olaf Scholz wünschte“, sagte der Experte. „Seine Rede zur Entlassung von Christian Lindner wurde wie seine Zeitenwende-Rede im ganzen Land verstanden. Es gibt diese Seite von Olaf Scholz, die er mehr abrufen müsste, um eine Chance zu haben.“
Besonders nach dem Ampel-Aus sei es entscheidend, „offensiver“ zu kommunizieren, sagte der Experte. „Wir leben in einer Zeit, in der auch Zweifeln, ein Abwägen von Chancen und Risiken aktiver kommuniziert werden sollte, so Winter. Und weiter: „Nach dem Regierungsbruch muss der Blick nun nach vorne gehen. Ansonsten bliebe Olaf Scholz der an seiner eigenen Koalition gescheiterte Kanzler.“
Cornelius Winter ist Gründer der Kommunikations- und Strategieagentur 365 Sherpas und Mitgesellschafter der Hirschen Group mit mehr als 800 Mitarbeitern in Deutschland. Er berät Unternehmensvorstände, Verbände und Politiker.
Für die Opposition ist der schleppende Prozess der SPD-Kanzlerkandidatenkür inklusive öffentlicher Personaldebatte derweil ein gefundenes Fressen. So sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei: „In der SPD ist in den letzten Tagen ein brutaler Machtkampf ausgefochten worden, aus dem Olaf Scholz zwar als Sieger und doch katastrophal beschädigt hervorgeht.“
Es sei deutlich geworden, dass große Teile der Partei und der Fraktion Olaf Scholz nicht weiter folgen wollen und ihm keinen Wahlsieg mehr zutrauen, sagte Frei dem „Tagesspiegel“. „Wie soll ein Kanzler, der kaum seine eigene Partei von der Richtigkeit seiner Politik zu überzeugen vermag, die Menschen im Land überzeugen?“
Scholz muss in jedem Fall sehr schnell in den Wahlkampfmodus schalten. Wenn er wiedergewählt werden will, ist eine extreme Aufholjagd nötig. In den Umfragen liegt die SPD aktuell mit Werten zwischen 14 und 16 Prozent noch hinter der AfD mit 17 bis 19 Prozent und weit hinter der Union mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), die auf Werte zwischen 32 und 34 Prozent kommt. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend haben jetzt sogar die Grünen mit der SPD gleichgezogen.