Die Kritik der SPD an Kanzler Olaf Scholz nimmt zu, doch eine offene Revolte scheint die Kanzlerpartei zu scheuen. Am Ende wissen die Genossen: Der Kanzler hat das letzte Wort.

Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag seine Regierungserklärung verlas, tat er etwas Ungewöhnliches: Er versuchte nicht, die Lage schönzureden.

Zumindest nicht komplett: So nannte Scholz die historische Niederlage der SPD bei der Europawahl am 9. Juni einen „Einschnitt“. Das Ergebnis habe gezeigt, „dass ganz offenbar angesichts all der zahlreichen Krisen vielen die Zuversicht abhandengekommen ist“, sagte er. Daraus folge ein Auftrag an die Regierung: „Wir müssen dort, wo Zuversicht fehlt, sie neu begründen.“

Immerhin. Dass er als Kanzler für die Situation in hohem Maße mitverantwortlich ist, ließ er – Scholz-typisch – unerwähnt.

Der Kanzler wählte seine Worte genau. Scholz weiß natürlich, dass ein Mindestmaß an Zuversicht nur dann neu geschaffen werden kann, wenn die Ampel ihre derzeit wichtigste Aufgabe erfüllt: einen Haushaltsentwurf auf die Beine zu stellen, der dann rechtzeitig zur Sommerpause dem Parlament zugeleitet werden kann. Scheitert der Haushalt, scheitert die Ampel.

Die selbst gesetzte Frist am 3. Juli wurde bereits gerissen, als neues Datum gilt der 17. Juli. Scholz sagte in seiner Rede, er sehe die Haushaltsverhandlungen „auf einem guten Weg“, blieb aber vage darin, wie die milliardenschwere Haushaltslücke gestopft werden kann. Damit nahm er nicht nur Rücksicht auf seine beiden Koalitionspartner Grüne und FDP, sondern wohl auch auf seine Genossen. Denn viele in der SPD plagen düstere Vorahnungen, was bei der Haushaltseinigung der drei Ampelspitzen Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wohl herauskommen wird.

Lindner, Habeck und Scholz: Was planen diese drei Herren mit dem Geld der Steuerzahler und wann darf die Öffentlichkeit davon erfahren? (Quelle: imago-images-bilder)

Ein Kompromiss, der der SPD viele Opfer abverlangen wird, könnte die Kanzlerpartei ausgerechnet in einem Moment schwer erschüttern, in dem sie ohnehin angeschlagen ist. Das könnte die gesamte Regierung ins Wanken bringen.

Denn die SPD steckt in ihrer tiefsten Krise seit dem Amtsantritt von Olaf Scholz. Das miserable Ergebnis bei der Europawahl (13,9 Prozent), die drohende Klatsche bei den Ostwahlen im Herbst und der permanente Streit in der Ampel setzen der Kanzlerpartei massiv zu. Der Frust bei den Genossen wächst und findet zunehmend auch seinen Weg nach draußen.

Die vergangenen Wochen waren dafür ein anschaulicher Beleg. Die SPD-Abgeordneten im Bundestag, die in den vergangenen zwei Jahren vor allem damit beschäftigt waren, die Regierungspolitik von Olaf Scholz parlamentarisch umzusetzen, wurden lauter, trauten sich mehr. Seit dem historischen Absturz am 9. Juni ist der Unmut über Scholz gewachsen, aber auch über die Parteispitze. Letzterer wird vor allem die missglückte Wahlkampagne angelastet, die über 2,5 Millionen SPD-Wähler dazu bewog, zu Hause zu bleiben.

Doch im Zentrum der Kritik steht der Kanzler, der aus Sicht vieler Genossen stärker für eine sozialdemokratische Politik kämpfen müsste und sich nicht ausreichend gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP) durchsetzt. Die Enttäuschung über Scholz griff zuletzt immer weiter um sich.

Zunächst versuchte die linke SPD-Gruppierung Forum DL21 den Druck auf den Kanzler zu erhöhen, indem sie ein Mitgliederbegehren gegen einen möglichen Sparhaushalt ins Spiel brachte.

Weitaus bedrohlicher für Scholz war jedoch die Initiative der drei Fraktionsströmungen Seeheimer Kreis, Parlamentarische Linke und Netzwerk Berlin: In einer gemeinsamen Stellungnahme am Montag forderten sie, angesichts des Ukraine-Kriegs und der Flut in Süddeutschland „auch in diesem Jahr die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse zu nutzen.“

Die konzertierte Aktion der drei Fraktionsflügel war einzigartig – und belegt, wie tief der Riss zwischen den Genossen und ihrem Kanzler mittlerweile ist.

Aufstand vertagt

Doch der revolutionäre Funke scheint schnell wieder erloschen zu sein. Bei der Fraktionssitzung der SPD am Dienstagnachmittag war von einer offenen Revolte nichts mehr zu spüren. Mehrere Teilnehmer beschreiben die Stimmung als positiv und einmütig. Kein Vergleich zur vergangenen Sitzung vor zwei Wochen, als die Abgeordneten nach der verkorksten Europawahl den Kanzler teils direkt angingen.

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