Aberdeen ist auf dem Papier das erfolgreichste Team Europas – ein Fußballmärchen an der rauen schottischen Nordseeküste. Vieles erinnert an die Zeiten des großen Alex Ferguson.

Es gibt sie: diese vergessenen Klubs, die jeder Fußballinteressierte über 50 Jahren kennt, aber selten genau weiß, warum. Sie heißen Nottingham Forest, IFK Göteborg, Sampdoria Genua oder FC Aberdeen. Klubs, die vor der großen Kommerzialisierungswelle des Fußballs in den 1990er Jahren europaweit bekannte Namen hatten und Titel gewannen.

Während die erstgenannten ehemaligen Europapokalsieger von Titeln ähnlich weit entfernt sind, wie Max Kruse von einem Comeback in der deutschen Nationalmannschaft, haben viele Fans an der schottischen Nordseeküste seit einigen Monaten ein langes ungekanntes Gefühl: Hoffnung. Auf eine Wiederkehr der alten Zeiten.

Denn: Der vor 121 Jahren gegründete Aberdeen Football Club (AFC) erlebt seit drei Monaten einen sportlichen Höhenflug wie zuletzt in den 1980er-Jahren. Bis zum 2:2 bei Celtic Glasgow vor genau einer Woche gewann das Team aus dem Nordosten Schottlands alle Pflichtspiele dieser Saison. So gut war der Klub aus der an der Mündung der Flüsse Dee und Don gelegenen 220.000-Einwohner-Stadt, der aufgrund des starken Einflusses der Öl- und Fischereiindustrie das Label „Arbeiterstadt“ anhaftet, zuletzt unter dem größten aller schottischen Fußballtrainer: Sir Alex Ferguson.

Der damals gerade 40-Jährige dominierte mit dem Außenseiter aus dem Nordwesten Schottlands nicht nur die eigentlich übermächtigen Glasgower Rivalen Celtic und Rangers, sondern holte 1983 auch den Europapokal der Pokalsieger – im Finale gegen Real Madrid. Es war die letzte Niederlage der „Königlichen“ in einem Europapokalendspiel.

So surreal wie das heute wirkt, erscheint auch ein Blick auf die ersten Spiele des aktuellen Aberdeen-Trainers Jimmy Thelin. Denn der Schwede, welcher im Sommer in Aberdeen anheuerte, trainiert derzeit die erfolgreichste Mannschaft Europas – zumindest, wenn es um die Top-20-Länder laut Uefa-Ranking geht.

Bis zum 2:2 bei Celtic gewann Aberdeen alle 13 Partien dieser Saison. So eine Statistik haben selbst Real (eine Niederlage, drei Remis) und Manchester City (drei Remis) nicht.

Zugegeben: Aberdeen spielt nicht im Europapokal und natürlich hinkt die schottische Liga im Hinblick auf Qualität und Wettbewerb Lichtjahre hinter La Liga und der Premier League zurück – aber dennoch ist die Entwicklung in Aberdeen bemerkenswert. Denn wie bei so vielen Traditionsklubs war die Hoffnung auf die Anknüpfung an glanzvolle alte Zeiten rund ums Pittodrie-Stadium seit Jahrzehnten verschwunden.

Mehr als Platz drei hinter den dominierenden Rangers (55 Meistertitel) und Celtic (54) erschien in der nationalen Liga aufgrund der großen Konkurrenz unrealistisch. Wie bei vielen traditionsreichen Teams kam in diesem Sommer einmal mehr ein neuer, unbekannter Trainer zum vierfachen schottischen Meister, der mit floskelhaften Aussagen wie „Der Verein hat so eine große Vergangenheit, hoffentlich wird er auch eine großartige Zukunft haben“ seinen Dienst antrat.

Ausgesprochen hatte dies der 46-jährige Schwede Thelin, der den Provinzklub IF Elfsborg in sechs Jahren zwar nah an die schwedische Meisterschaft heranführte, unter dem Strich aber ohne Titel oder größere internationale Reputation beim ehemaligen Europapokalsieger aufschlug.

Was ihm seitdem gelingt, lässt die Großklubs aus Glasgow (Aberdeen ist punktgleich mit Celtic an der Tabellenspitze und bereit sechs Zähler vor den Rangers) allerdings etwas ratlos zurück: Thelin hat aus Nobodys ein Team zusammengebaut, dass der „Old Firm“ (Bezeichnung für die Rivalität und die Duelle zwischen Celtic und Rangers) erstmals seit Jahrzehnten die Stirn bietet.

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