Koalition

Neues Lindner-Papier könnte Ampel-Streit anheizen

Aktualisiert am 01.11.2024 – 18:04 UhrLesedauer: 4 Min.

Finanzminister und FDP-Chef Lindner legt ein neues Grundsatzpapier zur Wirtschaftspolitik vor und heizt die Koalitionsdiskussion weiter an. (Archivfoto) (Quelle: Kay Nietfeld/dpa/dpa-bilder)

Die rot-grün-gelbe Koalition ist uneins, wie die Wirtschaft angekurbelt werden soll. In dieser schwierigen Phase kommt ein neues Papier. Zweien der Koalitionspartner dürfte es nicht gefallen.

Ein neues Grundsatzpapier von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner über eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik droht den Streit in der Ampel weiter anzuheizen. In dem Papier wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener gefordert, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik.

„Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik“, hieß es darin. Diese solle grundsätzlicher Art sei. Das Papier hat den Titel „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit.“ Es liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Zuerst hatte der „Stern“ darüber berichtet.

In dem Papier ohne Datum wird eine „Wirtschaftswende“ gefordert mit einer „teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Die deutsche Wirtschaft ist in einer Wachstumskrise. Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik könne das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten stärken.

Die FDP fordert seit längerem eine „Wirtschaftswende“ und hat den „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Auch Forderungen wie eine vollständige Soli-Abschaffung sind grundsätzlich bekannt. Der Zeitpunkt des neuen Papiers ist aber brisant.

Erst vor anderthalb Wochen hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem aber weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden veranstaltet. Scholz plant – ebenso wie die FDP – noch weitere Treffen in etwa dem bisherigen Format. Am Ende will der Kanzler einen Pakt für die Industrie erreichen, das Ergebnis soll noch vor Weihnachten stehen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte.

Erst im Juli hatte die Bundesregierung eine „Wachstumsinitiative“ angekündigt. Das Paket mit vielen Maßnahmen ist aber noch nicht umgesetzt worden.

Konkret ist in Lindners jetzigem Papier von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Neue Gesetzesvorhaben sollten entweder ganz entfallen oder, wo dies nicht möglich sei, so ausgestaltet sein, dass Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Genannt werden in diesem Zusammenhang zum Beispiel Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein Tariftreuegesetz sowie das Lieferkettengesetz.

Weiter heißt es, als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbstständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt werde, entfallen. Er sollte in einem ersten Schritt im Jahr 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent abgesenkt werden. In einem zweiten Schritt könnte er im Jahr 2027 dann vollständig entfallen. Der Soli wurde für 90 Prozent der Steuerzahler bereits abgeschafft.

Weiter heißt es im Papier, nationale müssten durch europäische Klimaziele ersetzt werden. „Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen.“ Deutschland solle auf europäischer Ebene insbesondere die Abschaffung der Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergieeffizienz und der Flottengrenzwerte für Autokonzerne durchsetzen.

Bei Angleichung der nationalen und europäischen Ziele könnten die Bundesförderung effiziente Gebäude und die Bundesförderung effiziente Wärmenetze reduziert oder zeitlich gestreckt werden, heißt es im Papier. Im Gebäudeenergiegesetz – oft als Heizungsgesetz bezeichnet – könne der Zeitpunkt, ab dem Heizungen vollständig klimaneutral sein müssen, um fünf Jahre verschoben werden, der Anteil erneuerbarer Energien dabei von 65 Prozent bei neuen Heizungen zunächst abgesenkt und erst später erhöht werden. Das Förderprogramm Klimaschutzverträge könnte ebenfalls weitgehend entfallen – das zielt auf eine Maßnahme Habecks.

Als wegweisend für den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gilt die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, die für den 14. November geplant ist. Dort wird über den Haushalt 2025 entschieden.

Spekulationen über eine vorzeitige Auflösung der Ampel-Koalition wies Regierungssprecher Hebestreit am Freitagmittag – vor Bekanntwerden des neuen Lindner-Papiers – zurück. „Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen“, sagte Hebestreit in Berlin. Er machte deutlich, „dass man konstruktiv die nächsten knapp elf Monate bis zum regulären Wahltermin für die nächste Bundestagswahl miteinander zusammenarbeiten wird“.

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